Die Frau des Germanen
auf der Teutoburg nicht mehr zufrieden war,
ahnte zwar niemand, aber dass sie von Tag zu Tag mürrischer wurde, sah jeder. Doch zu ihrem Glück fragte keiner nach dem Grund,
denn er schien auf der Hand zu liegen.
Ein gütiges Geschick hatte ihr zwar den Ehemann gesund aus der Schlacht zurückgebracht, so hieß es auf der Teutoburg, aber
gleich darauf war es ihr wieder ungnädig geworden und hatte sie mit zwei weiteren Fehlgeburten bestraft. Wofür? Inaja behauptete,
sie habe nichts Böses getan. Wiete war jedoch nach jeder Fehlgeburt die Erste, die von dem bösen Omen sprach. Inaja hatte
ihrer Herrin zur Flucht geholfen, hatte das Ihrige dazu getan, dass aus der heimlichen Liebe eine Ehe geworden war, der der
Segen der Götter verwehrt wurde. Also musste sie das böse Omen genauso treffen. Inajas Schuld war besiegelt. Seit Thordis
nicht mehr unter ihnen war, sprach Wiete doppelt so oft davon.
Hermut hatte es längst aufgegeben, auf ein weiteres Kind zu hoffen. Thusnelda hatte es aufgegeben, Inaja auf die nächste Schwangerschaft
zu vertrösten, und niemand erschrak mehr, wenn das Blut wieder an Inajas Beinen herunterlief. Inaja selbst am allerwenigsten,
die zufrieden war mit dem einen gesunden Sohn. Dass Hermut ihn liebte und Gerlef an Hermut hing, war etwas, womit sie sich
abzufinden hatte.
Nach Thordis’ Tod hatte sie gewagt zu fragen: »Kann Flavus wirklich nicht kommen? Wenn die Mutter beigesetzt wird, müssen
doch all ihre Söhne dabei sein!«
Thusnelda hatte es ihr erklärt, ohne Verdacht zu schöpfen: »Flavus ist Römer geblieben, und Germanien hat Rom gedemütigt.
Arminius ist damit nicht mehr nur Flavus’ Bruder, sondern auch sein Feind.«
»Er wird nie wieder in seine Heimat kommen?«
|294| Thusnelda hatte mit den Schultern gezuckt. »Jeder Mensch sehnt sich nach seiner Heimat. Vielleicht findet Flavus irgendwann
einen Weg, in die Teutoburg zurückzukehren, ohne in Rom als Verräter dazustehen.«
Vielleicht! An diesem Wort hielt Inaja sich fest. Vielleicht kam er zurück. Vielleicht vergaß er sie nicht. Vielleicht liebte
er sie. Vielleicht kam er sie irgendwann holen. Und vielleicht machte er aus Gerlef einen reichen, geachteten Römer.
Sie bückte sich unter die Sträucher und Büsche, unter denen die Hühner pickten, und sammelte ein paar Eier auf. Dann ging
sie zum Haus zurück. Davor hockte das Gesinde auf langen Bänken und löffelte den Hirsebrei, den es fast jeden Abend gab. Eier,
Milch und Quark waren nur etwas für die Familie des Fürsten. Nach wie vor war Inaja stolz darauf, dass sie mit Thusnelda das
Essen einnehmen durfte. Das war es, was das Leben auf der Teutoburg noch immer schön machte. Sie gehörte zur Fürstenfamilie,
und ihr Sohn war das Kind eines Fürsten. Es war gut und richtig, dass nur dieses eine Kind den Weg ins Leben gefunden und
jedes andere sich als zu schwach erwiesen hatte. Mochte Wiete noch so oft von dem bösen Omen reden! Gerlef war so stark wie
ihre Liebe zu Flavus. Deswegen lebte er! Und deswegen lebten alle anderen Säuglinge nicht.
Hermut lächelte ihr zu, als sie ans Feuer trat. Dass er immer noch so lächeln konnte! In Augenblicken wie diesem tat es ihr
leid, dass sie sein Lächeln nicht erwidern konnte. Nicht nur für ihn, sondern auch für sich selbst.
Inaja betrachtete Thusneldas gerundeten Rücken und Arminius, der in der gleichen Haltung neben ihr saß. Seit Thordis nicht
mehr lebte, verzichtete er ganz darauf, auf dem einzigen Stuhl des Hauses Platz zu nehmen, der dem Hausherrn vorbehalten war.
Er liebte Thusneldas Nähe, genoss sie jeden Tag und verzichtete nur auf sie, wenn es nötig war. Je länger die beiden zusammenlebten,
desto ähnlicher wurden sie sich. Ihre Körperhaltung war die gleiche, ihre Gesten, ihre Mimik stimmten überein, und wenn sie
lachten, sahen sie einander an, um sich zu |295| vergewissern, dass die Freude des anderen ähnlich war. Jetzt legte Arminius seine flache Hand auf Thusneldas Rücken und ließ
sie dort liegen. In vollkommener Ruhe, ohne dass sie vibrierte, ohne dass die Finger spielten, lag sie da. Kein Festhalten,
kein Vergewissern, keine Aufforderung, nur der Wunsch, Thusnelda Wärme zu schenken, und ihr Wunsch, sie anzunehmen und zurückzugeben.
»Segestes und Ingomar haben beim letzten Thing gegen mich gestimmt«, sagte Arminius gerade. »Sie haben anscheinend Angst,
dass ich zu mächtig werde. Sie begreifen nicht, dass es mir nicht um Macht geht,
Weitere Kostenlose Bücher