Die Frau des Germanen
sich ihm näherten, herabblicken konnte. Einer seiner Lieblingspapageien flatterte durchs Zimmer und ließ sich dann am
Kopfende seines Bettes nieder. Kissen stützten Augustus’ ausgemergelten Körper, unter den flauschigen Decken war er kaum auszumachen.
Der Kaiser, der ständig fror, war sorgfältig zugedeckt worden, nur sein Gesicht war zu sehen, als Severina zu ihm trat. Mit
einer energischen Bewegung zog sie Silvanus an ihre Seite, der seinen Urgroßvater mit ängstlichen Augen anstarrte.
Severina strich dem Kaiser über die Wange und wartete geduldig darauf, dass er ihre Anwesenheit bemerkte und die Augen aufschlug.
Es dauerte eine Weile, bis er sie erkannte. Severina |289| war erschrocken, wie sehr sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte. Würde er ihr Anliegen überhaupt noch verstehen?
Und wenn ja, würde er noch in der Lage sein, ihren Wunsch zu erfüllen?
Sie hätte gern nach seiner Hand gegriffen, sie geküsst, um vor ihre Bitte die Ehrerbietung zu stellen, aber sie wagte nicht,
unter die Decke zu greifen, aus Angst vor dem, was sie dort finden würde. Von dem Bett des Kaisers ging ein beißender Geruch
aus, ein Gemisch aus Schweiß und Urin. Augustus war unrasiert, seine Haare waren lange nicht geschnitten und nicht einmal
gekämmt worden. Seit dem Verlust der drei Legionen hatte er sich immer öfter geweigert, sich waschen zu lassen. Seit einigen
Wochen wies er auch das dargebotene Essen zurück, trank nur gelegentlich etwas und erlaubte niemandem, die Bettdecke von seinem
Körper zu ziehen. Severina hätte am liebsten den Atem angehalten. Es wurde wirklich Zeit, dass sie ihre Bitte vorbrachte!
Bisher hatte sie kein Glück gehabt. Der Kaiser war noch kräftig genug gewesen, um unliebsame Themen zur Seite zu wischen.
Heute war er dazu eindeutig zu schwach. Aber war er mittlerweile auch zu schwach, ihre Bitte zu erfüllen? Selbst, wenn er
es wollte? Ein Nicken würde er zustande bringen, und das reichte normalerweise, um daraus einen Befehl zu machen, der auf
der Stelle ausgeführt wurde. Aber wenn Severina jetzt in die Augen des Kaisers sah, fragte sie sich, ob er ihre Worte überhaupt
verstehen würde.
Während sie ihn begrüßte und dafür sorgte, dass auch Silvanus seine Ehrerbietung ausdrückte, schien es, als fände der Kaiser
zu der Kraft zurück, die notwendig war, eine Entscheidung zu treffen. Sein Blick wurde wach und aufmerksam, Severinas Optimismus
kehrte zurück: »Silvanus ist Euer Urenkel, Großvater! Ich bitte Euch, sichert ihm einen Platz in der Erbfolge! Versprecht
mir, dass aus ihm ein Mann von Rang und Würde wird, wenn er erwachsen ist. Wenn ich einmal nicht mehr bin, wird es sonst niemanden
geben, der sich um ihn sorgt.«
Es tat ihr leid, dass sie nicht niederknien konnte, aber das Bett |290| des Kaisers war derart erhöht, dass sie sich damit seinen Blicken entzogen hätte. Noch nie war Severina vor einem Menschen
in die Knie gesunken, doch diesmal hätte sie es mit Freuden getan. Alles, einfach alles hätte sie getan, um die Zustimmung
des Kaisers zu erhalten.
»Bitte gebt mir die Zusicherung, dass aus meinem Sohn ein freier Römer wird, der über ein Vermögen und über einen Titel verfügt
und bis zum Ende seiner Tage Teil der kaiserlichen Familie sein wird. Ich flehe Euch an! Sorgt dafür, dass Silvanus sein Leben
lang unter dem Schutz des Kaisers steht, wer immer es auch sein wird.«
Nun hätte sie doch unter der Decke nach der Hand des Kaisers gesucht, wenn sie nicht in diesem Augenblick begriffen hätte,
dass es sinnlos war. Augustus schloss erschöpft die Augen. Severina wusste nicht einmal, ob er ihre Worte verstanden hatte.
Die Sklaven, die den Kaiser Tag und Nacht bewachten, traten einen Schritt vor, als Severinas Stimme lauter und eindringlicher
wurde. Anscheinend sorgten sie sich um die Sicherheit des Kaisers, als Severina die Hände auf seinen Oberkörper legte, über
dem die Decken heiß und klamm waren. In einer Ecke des Schlafraums entstand Bewegung, Severina achtete jedoch nicht darauf.
»Seht Euch meinen Sohn an«, flehte sie. »Er ist ein so schönes Kind. Dass er blond ist und blaue Augen hat, dafür kann er
nichts. Aber er ist klug und besonnen, er hat die Fähigkeiten zum Staatsmann. Von Germanicus’ Söhnen ist keiner klug und besonnen,
sie taugen zum Krieger, aber nicht zum Kaiser. Der Erste Bürger Roms muss nicht mit dem Schwert kämpfen können, sondern mit
dem Geist und mit der
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