Die Frau des Germanen
Zunge.«
Ihr Großvater öffnete die Augen, starrte sie an, und sie begriff, dass er sie nicht verstanden hatte. Doch immerhin entdeckte
sie wieder so etwas wie Interesse in seinen Augen, eine Frage, die sie aufforderte weiterzureden. Oder täuschte sie sich?
Bat der Kaiser nur um ihre Gesellschaft? War ihm ihr Anliegen gleichgültig?
|291| Severina schüttelte ihre Sorge ab. Sie hatte ein Angebot für den Kaiser, das er nicht ablehnen konnte. Zwar hatte sie gehofft,
es nicht aussprechen zu müssen, aber wenn es nicht anders ging, musste es eben sein.
Sie machte einen Schritt zur Seite, als könnte sie damit erreichen, dass Silvanus nichts von dem hörte, was sie jetzt dem
Kaiser vorschlagen würde. Wenn der Junge auch nicht verstand, worum es ging – es fiel ihr schwer, es vor Silvanus auszusprechen.
Er kannte den Namen nicht, den sie nennen würde, aber es kostete sie trotzdem Überwindung, ihn über die Lippen zu bringen.
Doch es musste sein! Es war ja nur zum Besten ihres Sohnes.
»Ich bin bereit zu einer Gegenleistung«, fuhr sie fort und wiederholte den Satz, weil sie merkte, dass sie zu leise gesprochen
hatte. »Ich biete Euch etwas für die sichere Zukunft meines Sohnes. Nicht nur Euch allein, sondern dem gesamten römischen
Reich.«
Das Interesse in den Augen des Kaisers verstärkte sich nun. Severina war froh, dass sie ihren Trumpf früh genug ausgespielt
hatte. Morgen schon wäre es vielleicht zu spät gewesen. Der Geist des Kaisers schien sich schneller zu verdunkeln, als sie
angenommen hatte.
Wieder musste sie sich zwingen, laut und deutlich zu sprechen, obwohl es ihr lieber gewesen wäre zu flüstern: »Ich biete Euch
Arminius’ Kopf für Silvanus’ Sicherheit. Sein Leben gegen das meines Sohnes! Der Beweis, dass der größte Widersacher Roms
tot ist, gegen einen Platz in der Erbfolge für meinen Sohn!«
Aus dem Interesse in den Augen des Kaisers wurde Ungläubigkeit und zu Severinas Entsetzen kurz darauf Überdruss. Er schien
ihr nicht glauben zu wollen, oder er war längst nicht mehr fähig, die Tragweite dessen, was ihm vorgetragen wurde, zu erfassen.
»Ich kenne einen Weg, Großvater!«, beschwor sie Augustus weiter. »Ich weiß, wie Arminius zu besiegen ist. Nicht durch |292| Kriege, wie Tiberius glaubt. Was er nicht geschafft hat, wird mir gelingen. Ich liefere Euch Arminius’ Kopf, und Silvanus
bekommt dafür die Chance, Kaiser von Rom zu werden!«
Die Lider des Kaisers begannen zu flattern, Severina hätte am liebsten nach seinem Arm gegriffen, ihn gerüttelt und ihn damit
am Einschlafen gehindert.
»Ein Nicken, Großvater! Ein Zeichen des Einverständnisses! Und ich hole einen der Senatoren, der aus Eurer Zustimmung ein
Gesetz macht! Ein Gesetz, das auch für Euren Nachfolger Gültigkeit hat!«
Die Augen des Kaisers schlossen sich jedoch, über sein Gesicht breitete sich tiefe Müdigkeit aus, auf seiner Oberlippe erschien
ein bleiches Dreieck, die Augäpfel sanken tiefer in ihre Höhlen. Es war, als stiege plötzlich Kälte von der Decke auf, die
den Körper des Kaisers bedeckte. Augustus’ Atem veränderte sich nicht, sein Brustkorb hob und senkte sich im gleichen Rhythmus
wie zuvor, trotzdem begriff Severina, dass ihr Großvater in diesen Augenblicken dem Tod ein gutes Stück näher gekommen war.
Die Verzweiflung schüttelte sie, es kostete sie große Mühe, Haltung zu bewahren. Fest zog sie Silvanus an ihre Seite, der
sich diesmal nicht gegen ihre Hand wehrte, weil er spürte, dass seine Mutter einen entscheidenden Kampf verloren hatte. Die
Tränen würgten sie. Sie hatte Mühe, das Zittern ihrer Unterlippe zu verbergen. Aber Severina, die Enkelin des römischen Kaisers,
weinte nicht! Sie war viel zu schön, zu stark und zu unanfechtbar für Tränen.
Sie legte den Kopf in den Nacken, bevor sie sich vom Bett des Kaisers abwandte. Dann erst merkte sie, dass sie nicht mit dem
Kaiser allein gewesen war. Gewiss gab es rund zwanzig Sklaven im Raum, aber die zählten nicht. Der Mann jedoch, der aus einer
Ecke des Raums auf sie zutrat, der zählte.
Tiberius, der zukünftige römische Kaiser, lächelte, als er vor ihr stand. »Ein interessantes Angebot, das Ihr meinem Stiefvater
gemacht habt, schöne Severina!«
|293| 18.
I n letzter Zeit fragte Inaja sich häufig, welchen Verlauf ihr Leben genommen hätte, wenn sie auf der Eresburg geblieben oder
ihrer Herrin auf die Burg Fürst Aristans gefolgt wäre. Dass sie mit dem Leben
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