Die Frau des Germanen
winzigen Narben auf ihrer Brust, die ihr bleiben
würden, die sogar einen Namen bekommen hatten. »Nach Rom!« Sie griff nach ihrem Schambein, das keinen Druck mehr ertragen
konnte. »Unser gemeinsamer Sohn!« Gerlef würde erfahren dürfen, dass er der Sohn eines Fürsten war, er würde sogar irgendwann
wie der Sohn eines Fürsten leben.
|343| »Aber ich will erst wissen, dass du mich wirklich liebst«, hatte Flavus geflüstert, »dass du alles für mich tust! Einen Liebesdienst
musst du mir zunächst erweisen!« Er griff in den ledernen Beutel, den er bei sich trug, und holte ein kleines metallenes Gefäß
hervor, das mit einem Korken fest verschlossen war. »Das gibst du Arminius in seinen Met. Gleich morgen! Hörst du?«
»Was ist das?«, fragte Inaja mit schwacher Stimme, obwohl sie sofort begriffen hatte, worum es sich handelte.
»Das brauchst du nicht zu wissen«, gab Flavus zurück.
Inaja starrte ihn an. »Du willst deinen Bruder töten? Warum?«
»Das geht dich nichts an. Wenn du mit mir nach Rom willst, dann darfst du nicht fragen.«
»Was ist mit meiner Herrin?«, fragte Inaja, um Zeit zu gewinnen.
»Sie wird nie wieder auf die Teutoburg zurückkehren. Aber in Rom wirst du sie wiedersehen können. Sie ist eine römische Gefangene.
Ich werde sie zu deiner Sklavin machen, wenn du willst.«
Wie kam er nur auf den wahnwitzigen Gedanken, sie könnte Freude daran haben, dass sich die Verhältnisse verkehrten? Aber bevor
sie auf diesen ungeheuerlichen Vorschlag etwas erwidern konnte, hatte er schon ihren Rock hochgeschoben und ihre Beine gespreizt.
Gerade hatte sie sich der Faust ergeben, die ihren Leib aufzureißen drohte, da stand plötzlich Hermut neben ihnen.
Inaja betrat den Heuschober und starrte auf den Fleck, an dem Hermut ihre Zukunft in Rom zerstört hatte. Getobt hatte er,
geschrien, gewütet, nicht nur gegen sie, sondern auch gegen Flavus.
Der aber hatte sich nur grinsend aus dem Heu erhoben und gemächlich seine Kleidung abgeklopft. Hermuts Gebrüll hatte er mit
keiner Silbe beantwortet, hatte nur heimlich wieder das Gift an sich genommen und war gegangen. Und Hermut hatte nicht gewagt,
ihn aufzuhalten. Auch seine Freundschaft zu Arminius änderte nichts daran, dass Flavus ein Fürstensohn war, gegen den Hermut
nichts ausrichten konnte. Für seine Wut und seine Verzweiflung gab es für ihn nur Inaja.
|344| Er holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. »Hure!«
Sie schützte sich mit den Händen, so gut es ging, und beugte sich von ihm weg. »Ich kann nichts dafür. Er hat mich gezwungen!«
Hermuts Enttäuschung war jedoch zu gewaltig, um sich von Worten besänftigen zu lassen. Er schlug weiter auf sie ein, trat
sogar nach ihr, griff nach ihren Haaren und ihren Gelenken, als wollte er sie brechen. »Soll ich deinen Ehebruch auf dem nächsten
Thing verhandeln lassen?«
Nun erschrak Inaja heftig. Sie kannte mehrere Ehebrecherinnen, die zur Strafe im Moor versenkt worden waren. Auf einem Thing
ging man unerbittlich mit Frauen um, die ihren Männern nicht treu waren, und da Arminius schon lange nicht mehr an den Thing-Versammlungen
teilnahm, konnte sie nicht mit einem Fürsprecher rechnen.
»Ich bin vergewaltigt worden«, stieß sie immer wieder hervor, »ich konnte nichts dafür.«
Hermut ließ erst von ihr ab, als er keine Kraft mehr zum Schlagen hatte. »Stimmt das wirklich?«
Inaja richtete sich vom Boden auf, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und nickte. Aber erst als sie Hermut die Verletzungen
zeigte, die Flavus ihr beigebracht hatte, wollte er ihr glauben. Er wollte … aber glaubte er ihr wirklich? Hatte er vielleicht
die Liebe in ihren Augen gesehen und den Schreck und die Angst, als er im Heuschober erschienen war? Und hatte er während
der folgenden Tage den Hass in ihrem Blick heranwachsen sehen, als er sie nicht mehr aus den Augen ließ?
Dass Arminius nichts davon erfuhr, was im Heuschober geschehen war, bewies ihr, dass Hermut nicht an Flavus’ alleinige Schuld
glaubte. Hermut schämte sich seiner Frau, sonst hätte er Flavus bei seinem Bruder angeklagt. Hermut wollte sein Unglück nicht
teilen, wollte den Fall aber zum Glück auch nicht vor ein Thing-Gericht bringen. Entweder weil er sich seiner Sache nicht
ganz sicher war oder weil er seine Frau noch liebte. |345| Vielleicht auch, weil er seinem Sohn nicht die Mutter nehmen wollte. Inaja lächelte, ohne es zu merken. Dass er Gerlef nach
wie vor seinen
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