Die Frau des Germanen
nicht mehr kämpfen! Ich darf nicht mehr kämpfen! Es ist sinnlos zu kämpfen! Warum lebe ich überhaupt noch?«
Inaja warf einen Blick auf die beiden Männer, dann widmete sie sich wieder ihrer Näharbeit. Wie ihr das Gejammer zusetzte!
Da saßen zwei Krieger am Feuer, die mehr als einmal dem Tod ins Auge geblickt hatten, die es gewöhnt waren, mit dem Schwert
zu erkämpfen, was ihnen zustand, die sich keiner fremden Macht gebeugt hatten. Und diese Männer klagten und jammerten nun
wie schwache Weiber!
Wenn Inaja auch einerseits dankbar war, dass die Römer sich fürs erste zurückgezogen hatten, so sehnte sie andererseits die
Zeit zurück, die zwar voller Gefahren, aber auch voller Hoffnung gewesen war, voller Zuversicht. Nun jedoch führten sie auf
der Teutoburg ein Leben ohne Zukunft. Jedenfalls kam es Inaja so vor, und sie wusste, dass Arminius genauso fühlte. Die Vergangenheit
war schön gewesen, die Gegenwart dagegen unerträglich, an die Zukunft mochte er gar nicht denken.
Hermut dagegen hätte gern weiterhin auf die Zukunft vertraut, das wusste Inaja. Doch seit jenem verhängnisvollen Tag, an dem
sie geglaubt hatte, auch ohne ihre Herrin zu einem Leben zu kommen, von dem sie seit frühester Jugend träumte, taumelte Hermut
seinem Freund immer öfter den vielen Fragen hinterher, auf die es keine Antworten gab.
»Wofür habe ich gekämpft?«, begann Arminius von neuem. »Varus und seine drei Legionen habe ich besiegt, alle Rachefeldzüge
der Römer zurückgeschlagen, aber meine geliebte Frau habe ich nicht schützen können. Verloren habe ich sie! Und mein Kind
ebenfalls. Hat sich dafür das Kämpfen gelohnt?«
Inaja umfasste die beinerne Nadel fester, mit der sie Hermuts Hose flickte. Von der letzten Jagd auf einen Braunbären war
er mit zerrissener Kleidung heimgekehrt. Inaja hatte daraufhin das |337| Garn, das sie mit der Handspindel gesponnen hatte, in der Farbe der Hose gefärbt und war nun schon seit Tagen damit beschäftigt,
die Risse zu schließen. Sie spürte die argwöhnischen Blicke, mit denen Hermut sie neuerdings häufig beobachtete, aber sie
reagierte nicht darauf. Ihr war nicht einmal klar, welchen Argwohn er eigentlich gegen sie hegte. Hatte er ihr nicht geglaubt,
obwohl er es immer wieder versichert hatte? War er etwa der Wahrheit auf der Spur und wagte nur noch nicht, sie auszusprechen?
Diese Sorge bedrängte Inaja. Anscheinend wusste Arminius nicht, was sich zugetragen hatte. Aber wenn Hermut darüber schwieg,
konnte der Grund eigentlich nur sein, dass er sich seiner Frau schämte und es nicht darauf ankommen lassen wollte, dass Arminius
sich seines Bruders gleichermaßen schämte.
»Wie kann ein Vater sein eigenes Kind opfern, um selbst ungeschoren davonzukommen?« Arminius spuckte ins Feuer. »So ein Feigling!«
»Und noch dazu war alles vergeblich«, ergänzte Hermut. »Segestes fürchtete die Rache der Römer, dabei haben sie es längst
aufgegeben, Germanien einzunehmen. Er hat völlig umsonst seine Ehre und seine Tochter geopfert.«
»Und sein Zuhause verloren«, fügte Arminius bitter an. »Nun sitzt er irgendwo am Rhein, muss den Römern gefällig sein, während
die Eresburg verrottet.«
»Halbfreie sollen sich dort niedergelassen haben«, meinte Hermut.
Inaja sah ihren Fürsten strafend an, als er erneut ins Feuer spuckte. So etwas hätte Arminius früher niemals getan und ebensowenig
geduldet. Er war ein anderer geworden, seit er Thusnelda verloren hatte. Ihr ungewisses Schicksal, die Frage, ob sie überhaupt
noch lebte, hielt ihn derart umklammert, dass nichts anderes an ihn herankam. Er verwahrloste zusehends, aß nicht genug, kleidete
sich nachlässig, ließ Haare und Bart wuchern und wusch sich nur selten. Das Einzige, worauf er noch sorgfältig achtete, war
die Kordel, die Thusnelda ihm als Hochzeitsgeschenk geknüpft hatte. Sie legte er jeden Morgen an und |338| hängte sie am Abend vor dem Zubettgehen gewissenhaft über einen Haken an der Tür.
»Wenn ich nur wüsste, wie ich sie befreien könnte«, stöhnte er auf. »Aber ich weiß ja nicht einmal, wo sie ist.«
»In Rom!«, warf Hermut ein. »Wo sonst?«
»Rom ist eine Millionenstadt! Wo sollte ich sie suchen?«
»Du kannst sie nicht suchen. Man kennt in Rom dein Gesicht. Kannst du dir vorstellen, was man mit dir machen wird, wenn man
dich erkennt?«
»Und mit Thusnelda«, ergänzte Arminius dumpf. »Germanicus hat mich gewarnt. Thusnelda ist nicht nur
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