Die Frau des Germanen
auch eine Sklavin für
gewöhnlich keinerlei Beachtung erfuhr, wollte nun jeder wissen, wie die Frau aussah, die mit Arminius, dem Verräter, verheiratet
und von ihrem eigenen Vater als lebender Pfand nach Rom ausgeliefert worden war.
In Severinas Augen stieg Kälte auf, das Glitzern darin, das bisher hell und hochgemut gewesen war, gefror. Sie spürte plötzlich,
dass es womöglich ein Fehler gewesen war, Thusnelda zu präsentieren. Diese Frau war einfach zu schön, trotz ihres einfachen
Sklavengewandes, trotz fehlender Schönheitsmittel. Ihre blasse Haut hatte keiner Aufhellung bedurft, ihre Augen waren vom
reinsten Blau, ihre Wimpern lang und dicht, und ihr blondes Haar, das in dicken Flechten um ihren Kopf lag, glänzte, obwohl
es nicht gepflegt worden war, genauso wunderbar wie Severinas Haar, das Gaviana mit duftendem Öl zum Schimmern gebracht hatte.
Thusnelda war zu schön, um verächtliches Lachen zu ernten, eine solche Schönheit erregte immer Bewunderung – oder auch Mitleid.
Beides jedoch wollte Severina nicht auf den Gesichtern ihrer Gäste sehen.
Zum Glück sprang ihr Livia zur Seite. Ob aus Solidarität oder aus ganz persönlichem Hass, war Severina nicht klar. Aber das
spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass die Mutter des Kaisers sagte: »Widerlich, diese Barbarenweiber! Groß und kräftig
wie Männer! Sind das überhaupt richtige Frauen?«
»Ich kann ja mal nachsehen«, antwortete Severina und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite. »Jedenfalls hat sie kürzlich
ein Balg zur Welt gebracht, also wird sie wohl alles haben, was eine Frau braucht.«
Severina stellte fest, dass der Kaiser der Einzige war, der nicht |348| lachte. Er verfolgte jede Bewegung Thusneldas mit aufmerksamen Augen. Auch Flavus starrte sie an, als wäre er von ihrer Erscheinung
geblendet. Während an allen drei Tischen und auf sämtlichen Liegesofas über die germanische Sklavin getuschelt wurde, beobachtete
Severina, wie Arminius’ Frau jedem Gast die Platte hinhielt, auf der die Vorspeisen angerichtet waren: Spargelauflauf mit
gebackenen Drosseln, mit Fisch gefüllte hartgekochte Eier, Schweineeuter mit Austern, in Milch und Honig gekochte Ziegenleber
und gebratene Flamingobeine. Als Thusnelda die Vorspeisenplatte ihrem Schwager reichte, sah sie zum ersten Mal auf. Ihr Blick
traf sich mit Flavus’, ihre Augen drückten prompt eine Bitte aus. Severina hatte damit gerechnet. Vorsichtshalber hatte sie
schon am Vormittag ein strenges Verbot aussprechen lassen: Keiner der Sklaven durfte auch nur ein einziges Wort mit einem
Gast sprechen, selbst dann nicht, wenn der Gast es ausdrücklich forderte. Nur deshalb war Flavus an diesem Abend die Ehre
zuteil geworden, auf einer Kline am Tisch der schönen Severina liegen zu dürfen. Sie wollte ihn unter Kontrolle haben.
Sie sah, dass Thusneldas Augen die Fragen formulierten, die sie nicht stellen durfte: Wie geht es Arminius? Wann kommt er,
um mich zu befreien? Und dann: Sag ihm, wo er mich findet. Sag ihm, dass ich auf ihn warte!
Ob sie merkte, dass Flavus’ Augen ihr nicht antworteten? Er hatte gemerkt, dass er von Severina aufmerksam beobachtet wurde.
Und was hätte er auch antworten sollen? Alles Barmherzige wäre eine Lüge gewesen.
Wieder erklang Livias Stimme: »Was geschieht mit dem Balg, das dieses Weib zur Welt gebracht hat? Wollt Ihr das Kind des Verräters
etwa bei Euch durchfüttern?«
Severina lächelte sie dankbar an. Dieser Einwand Livias gefiel ihr außerordentlich.
Dann aber, bevor Severina antworten konnte, ergänzte die Mutter des Kaisers: »Dieser Arminius hat lange in Rom gelebt. Wer
weiß, wie viele Bastarde mit blonden Haaren und blauen |349| Augen hier herumlaufen. Was soll eigentlich mit denen geschehen?«
Der folgende Augenblick war entsetzlich. Es war der Moment, in dem Severina aufgezeigt wurde, wie tödlich die Gefahr war,
in der Silvanus sich befand. Diese Anzüglichkeit Livias würde Folgen für ihren Sohn haben, das wurde Severina schlagartig
klar. Von nun an würden auch die, die bisher keine Ahnung gehabt hatten, darüber tuscheln, warum die schöne Nichte des Kaisers
einen Sohn mit blonden Haaren und blauen Augen hatte. Besonders diejenigen, die damals dabei gewesen waren, als Kaiser Augustus
dem blonden, blauäugigen Arminius die römische Ritterwürde verliehen hatte. Anscheinend war ihr das Gerücht keine große Hilfe
mehr, dass Flavus der Vater ihres Sohnes sein könnte. Die
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