Die Frau des Germanen
Segestes’ Pfand. Germanicus
hat sie auch zu meinem gemacht.«
»Man wird sie im Amphitheater öffentlich hinrichten«, sagte Hermut, »wenn du etwas tust, was Germanicus oder dem Kaiser nicht
gefällt.«
»Wenn sie überhaupt noch lebt.«
Inaja legte ihre Näharbeit zur Seite und betrachtete das dumpfe
Brüten der Männer. Arminius tat ihr zwar von Herzen leid, aber dachte er auch nur ein einziges Mal daran, dass Thusnelda nicht
nur von ihm schmerzlich vermisst wurde? Auch für sie, Thusneldas Dienstmagd, war das Leben auf der Teutoburg nicht mehr lebenswert
ohne ihre Herrin. Sie hatte ihr Schicksal immer eng mit Thusneldas verknüpft! Warum hatte Fürst Segestes nicht auch die Magd
seiner Tochter entführen lassen? Mit Freuden wäre Inaja ihrer Herrin nach Rom gefolgt. Dorthin, wo Flavus sie erwartete! Sie
lächelte leicht, prompt streifte sie wieder Hermuts Blick, diesmal war er nicht argwöhnisch, sondern fragend. Nein, Hermut
wusste nichts von ihren Gefühlen, weder von ihrer Liebe noch von ihrem Hass. Nachdem Flavus erkannt und sogar laut ausgesprochen
hatte, dass er Gerlefs Vater war, glaubte Inaja wieder an Wunder. Niemals jedoch würde sie Hermut verzeihen, dass er sie um
die größte Chance ihres Lebens gebracht hatte!
»Ich habe nichts erreicht«, klagte Arminius weiter.
»Das stimmt nicht«, gab Hermut zurück. »Du hast uns von den Römern befreit!«
|339| »Aber mein Volk hat nichts dadurch gelernt. Noch immer haben wir kein großes vereintes Germanien, obwohl alle wissen, dass
wir Rom nur durch Einigkeit besiegen konnten. Aber nun will wieder jeder Stamm seine eigenen Gesetze haben, seinen eigenen
Herrscher, seine eigenen Götter und Rituale. Germanien wird erneut geschwächt. Was ist, wenn die Römer das durchschauen? Dann
werden wir womöglich noch Jahre nach der Schlacht gegen Varus leichte Beute für sie.«
Doch Hermut schüttelte den Kopf. Obwohl er nicht über staatsmännischen Weitblick verfügte, sagte er: »Ich glaube nicht, dass
Tiberius denselben Fehler machen wird wie Augustus. Der neue Kaiser weiß am besten, wie schwer es ist, Germanien zu besiegen.
Er hat es ja selber oft genug vergeblich versucht.«
Als Arminius erneut ins Feuer spuckte, stand Inaja auf. Arminius nahm es nicht zur Kenntnis, Hermut allerdings beobachtete
sie mit scharfem Blick. Spürte er, dass sie ihn hasste? Vielleicht! Aber vermutlich konnte er sich nicht vorstellen, was ihren
Hass hervorgerufen hatte. Wie sollte er auch? Oder war der Argwohn in seinen Augen entstanden, weil er ahnte, was in ihr an
jenem Tag vorgegangen war? Nein, unmöglich! Ein Mann wie Hermut hatte keine solchen Gedanken. Er schrieb sich ihren Hass vermutlich
selbst zu. Grund genug hatte er. Noch nie vorher hatte er sie geschlagen. An jenem Tag jedoch hatte er so lange und so heftig
auf sie eingeprügelt, bis wieder einmal das Blut an ihren Beinen heruntergelaufen war. Zum Glück war sie danach nie wieder
schwanger geworden …
21.
E s war Inajas Idee gewesen, Flavus um Hilfe zu bitten. »Er lebt in Rom! Er wird wissen, wohin meine Herrin gebracht worden
ist. Er kennt vielleicht auch einen Weg, sie zu befreien und zurückzubringen.«
|340| Zunächst hatte Arminius sie nur verächtlich angesehen. »Du weißt, dass das Verhältnis zu meinem Bruder nie besonders herzlich
war. Warum sollte er dieses Risiko eingehen?«
»Weil Ihr vom selben Blute seid! Wenn es darauf ankommt, halten Brüder zusammen.«
Sie sah, dass Arminius nachdenklich geworden war. Ihr Vorschlag gefiel ihm zwar nicht, er glaubte auch nicht daran, dass mit
ihm etwas zu erreichen war, aber da er keinen anderen Weg sah, auf dem Thusnelda zu ihm zurückkehren konnte, ging er schließlich
auf Inajas Vorschlag ein.
Im Kampf vor der Eresburg hatten sie Gefangene gemacht, die nun auf der Teutoburg Sklavenarbeit verrichteten. Einer von ihnen
wurde nach Rom entsandt, um Flavus heimlich eine Nachricht zu bringen. Dort sollte er sagen, dass Arminius gnädig zu ihm gewesen
sei und ihn in die Freiheit entlassen habe, und dann unbemerkt Flavus die Bitte seines Bruders übermitteln. Sobald der Beweis
erbracht war, dass der Mann seine Aufgabe erfüllt hatte, wollte Arminius auch den anderen Gefangenen, darunter zwei Brüder
des Mannes und sämtliche Söhne seiner Schwester, die Freiheit schenken.
Inaja war von da an voller Zuversicht gewesen, Arminius jedoch wollte seiner Hoffnung noch keinen Namen geben, sie nicht nähren
und
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