Die Frau des Germanen
ihr keinen Zugang zu seinem Herzen verschaffen. »Der Bote wird vielleicht nur an sein eigenes Leben denken«, sagte er
jedes Mal, wenn er Inajas fragenden Blick bemerkte. »Und selbst wenn er willens ist und es ihm gelingt, bei Flavus vorzusprechen,
ist nicht sicher, dass mein Bruder bereit ist, etwas für mich zu tun. Vergiss nicht, er ist ein Römer geblieben! Und ich bin
der Germane, den die Römer hassen wie keinen anderen.«
»Aber er ist Euer Bruder«, beharrte Inaja.
Doch Arminius wappnete sich hartnäckig gegen allzu große Enttäuschung. »Selbst wenn er mir helfen will, heißt das nicht, dass
er mir helfen kann.«
»Wenn er weiß, wo Eure Gemahlin ist, und ihr eine Nachricht |341| von Euch zukommen lassen kann, dann würde es sich schon dafür lohnen. Sie ist in einer verzweifelten Lage. Eine Nachricht
von Euch wird ihr Hoffnung geben!«
Dann kam Flavus tatsächlich. Am frühen Abend war es, als die Rufe der Wärter über die Teutoburg schallten. Ein Reiter mit
seinem Gefolge näherte sich. »Ein römischer Reiter!«
Noch nie war die Begrüßung der Brüder so herzlich gewesen wie an diesem Tag. Arminius umarmte Flavus gerührt und schlug ihm
immer wieder auf die Schulter. »Das werde ich dir nie vergessen!«
»Leider kann ich nicht viel für dich tun, Bruder. Ich weiß nicht, was mit Thusnelda geschehen ist, ich habe nichts von ihr
gehört. Wohin man sie gebracht hat? Ich kann es dir nicht sagen.«
Inaja sah, dass Flavus’ Blick sie suchte und dann auf ihrem Gesicht haften blieb. Das Glück war so heftig, dass es schmerzte.
Ein berauschendes Glück! Ein Glück, das zu fühlen war, das auf der Haut brannte, das wehtat. Flavus war nicht gekommen, um
seinem Bruder zu helfen. Nein, er hatte die Gelegenheit genutzt, sie wiederzusehen! Nun endlich wusste sie, dass Flavus sie
auch liebte, so sehr wie sie ihn. Die Sprache seiner Liebe war nicht leicht zu verstehen, aber nun konnte sie sicher sein!
Sie drückte sich den ganzen Abend außerhalb des Hauses herum, blieb aber immer in der Nähe des Eingangs. Flavus saß mit Arminius
am Feuer und redete über die Möglichkeiten, Thusnelda zu befreien, ohne dass es Flavus zum Nachteil gereichte. Arminius sah
ein, dass sein Bruder sich nicht offen für ihn einsetzen konnte, er hielt es schon für ein kleines Wunder, dass Flavus dem
Kaiser die Erlaubnis abgerungen hatte, nach Germanien zu reisen. »Er muss sich deiner Loyalität sehr sicher sein«, hörte Inaja
ihn sagen, und die Bitterkeit in seiner Stimme konnte Flavus nicht entgehen.
»Der Kaiser ist ein Familienmensch« antwortete Flavus und sah auf seine Hände, als hätte er etwas zu verbergen. »Er hat Verständnis
dafür, dass ich meinem Bruder beistehen will.«
»Obwohl ich sein ärgster Feind bin?«
|342| Inaja stand in diesem Augenblick dicht neben der Tür und konnte das Schweigen beobachten, das wie beißender Rauch zwischen
den Brüdern stand. Sie sah, dass Arminius seiner Hoffnung nicht glauben mochte, dass er sich jedoch verzweifelt darum bemühte.
Der wachsame Krieger, der umsichtige Feldherr musste eigentlich der einfachen Lösung misstrauen. Einfache Lösungen erwiesen
sich meist als heimtückische Fallen, in die man tappte, weil der Duft der Hoffnung so köstlich war. Aber auch Arminius konnte
der winzigen Hoffnung nicht widerstehen, seine geliebte Thusnelda zurückzubekommen. Eine Chance, an die er einerseits nicht
glauben mochte, die er aber andererseits auch nicht vergeben wollte.
Dann endlich bat Flavus darum, sich schlafen legen zu dürfen. Der lange Ritt hatte ihn ermüdet, er brauchte Ruhe, um neue
Kraft zu sammeln. Schon in wenigen Tagen musste er ja wieder aufbrechen und nach Rom zurückkehren.
Inaja wich von der Tür zurück und drängte sich in ein nahes Gebüsch. Sie beobachtete, wie Flavus das Haus verließ und sich
suchend umsah. Erst als sie sicher sein konnte, dass sie es war, die er suchte, machte sie sich bemerkbar. »Hier bin ich,
Herr!«
Ohne ein Wort griff er nach ihrem Arm und zog sie mit sich. Er musste sie nicht führen, sie kannte den Weg, folgte ihm zum
Heuschober, als gäbe es dort für sie ein Zuhause.
Inaja ging auf den Heuschober zu, der ihr seitdem nie wieder ein Zuhause gewesen war. Ihr schien, als hörte sie Flavus’ Stimme:
»Ich werde dich mitnehmen nach Rom. Auch Gerlef! Ich weiß doch, dass er mein Sohn ist.«
Wie köstlich war der Schmerz dieses Glücks gewesen! Inaja tastete nach den
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