Die Frau des Germanen
römische Gesellschaft verlangte nach Sensationen und liebte sie.
Dass der Bruder des Verräters mit der Nichte des Kaisers ein Kind hatte, war für eine Weile interessant gewesen, vor allem
deshalb, weil Severina sich bis jetzt weigerte, ihn zu heiraten. Aber viel unterhaltsamer war die Überlegung, Silvanus könnte
der Sohn Arminius’ sein, des Mannes, der in Rom immer noch gehasst wurde wie kein zweiter.
Severinas Augen waren die eines gehetzten Tieres. Sie rasten zu Livia, deren Runzeln sich unter ihrem boshaften Lächeln vertieften,
zu Flavus, der hilflos zwischen Thusnelda und Severina hin und her blickte, und zum Kaiser, der seine Nichte ruhig lächelnd
betrachtete.
Dann hatte sie sich gefangen. Mit spitzen Fingern griff sie zu einem Flamingobein. »Warum soll ich den Sohn des Verräters
nicht bei mir durchfüttern?«, fragte sie mit dieser Mischung aus Gleichgültigkeit und Hochmut zurück, die niemand so gut beherrschte
wie sie. »Er scheint ein großes, kräftiges Kind zu werden. Selbstverständlich wird er auf die Gladiatorenschule geschickt,
wenn er alt genug ist. Rom braucht viele große und starke Gladiatoren. Es wird uns ein Vergnügen sein, dem Sohn des Verräters
beim Sterben zuzusehen.«
Sie lächelte den Kaiser an, in dessen Augen Bewunderung |350| aufstieg. Die Situation war gerettet! Jedenfalls fürs Erste. Severina verlor sogar ihr Lächeln nicht, als Thusnelda die Platte
aus den Händen glitt und die Vorspeisen auf dem Fußboden landeten.
Mit einem knappen Wink holte Severina ihren Sklavenaufseher herbei, während die anderen Sklaven sich beeilten, die Vorspeisen
vom Boden aufzuheben und in die Küche zurückzutragen. »Zehn Stockschläge für dieses ungeschickte Weib«, sagte Severina und
schob sich das Flamingobein in den Mund, während Thusnelda vom Sklavenaufseher grob am Arm genommen und weggeführt wurde.
»Ein amüsanter Abend.« Der Kaiser lächelte und hob sein Weinglas.
Er wartete, bis die Unterhaltung wieder in Gang gekommen war, dann neigte er sich seiner Nichte zu. »Nur … reicht es dir inzwischen,
Arminius’ Eheweib zu drangsalieren? Ich hatte mehr von dir erwartet, Severina!«
Gaviana hielt Thusneldas Hand. Mehr war ihr nicht zugestanden worden. Eine Sklavin wurde nicht gezüchtigt, um sie später zu
hätscheln, hatte der Aufseher gesagt, sie wurde gezüchtigt, damit die Schmerzen sie lange an das erinnerten, was sie falsch
gemacht hatte.
»Sei froh, dass sie dich nicht zwingt, weiterhin die Gäste zu bedienen«, sagte Gaviana. »Die schöne Severina ist phantasievoll
im Erfinden von Strafen.«
Thusnelda nickte. »Ich weiß. Was hätte ich nur getan, wenn du mir nicht heimlich geholfen hättest, als Thumelicus zur Welt
kam!« Sie versuchte ihren Körper aufzurichten, aber ihr zerschundener Rücken ließ es nicht zu. Stöhnend krümmte sie sich wieder
zusammen. »Aber es wird bald ein Ende haben. Flavus weiß nun, wo ich bin. Er wird dafür sorgen, dass Arminius mich befreit.
Und Thumelicus auch. Nein, mein Sohn wird nicht als Gladiator enden.« Sie spürte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen,
aber tapfer bekräftigte sie: »Niemals!«
|351| »Besser, du erwartest nichts von deinem Schwager«, gab Gaviana zurück. »Flavus tut alles, was unsere Herrin verlangt, und
nichts, was ihr missfällt.«
»Warum?«
»Weil er sie liebt und heiraten will.« Gaviana erhob sich, als der Aufseher in die Küche zurückkam. »Und du irrst dich, wenn
du glaubst, dass Flavus bisher nicht wusste, wo du bist. Er weiß es seit langem. Er wusste es von Anfang an.«
Der Aufseher ging dazwischen, ehe Thusnelda etwas erwidern konnte. »Was soll das Getuschel? Gaviana, die Herrin verlangt nach
dir! Und das Barbarenweib geht wieder an die Arbeit!« Er zeigte auf eine große Schüssel, die zur Hälfte mit Mehl gefüllt war.
»Die Gewürzfladen sind noch nicht fertig! Oder willst du dir zehn weitere Stockschläge einhandeln, weil unsere Herrin ihre
Gäste aufs Essen warten lassen muss?«
Thusnelda biss die Zähne zusammen und erhob sich. Ihr Rücken schmerzte, aber noch mehr brannte die Demütigung in ihr. Sie,
die Gemahlin eines germanischen Fürsten, hatte den Rücken entblößen und sich schlagen lassen müssen! Wie viele Herabwürdigungen
würde es noch für sie geben?
Sie stellte sich an den Trog und begann zu rühren, während sie gleichzeitig versuchte, sich heimlich am Rand abzustützen,
um ihren Wunden Erleichterung
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