Die Frau des Germanen
passiert!«
Ein Wärter machte den Versuch, das Netz über den Löwen zu werfen, doch es streifte ihn nur und weckte damit seine Aggression.
Zwar verharrte das Tier nun auf der Stelle, doch es schien jeden Augenblick losspringen zu wollen. Die beiden Brüder spannten
sich, Thumelicus hob das Schwert seines Vaters …
Beim nächsten Versuch, das Netz über den Löwen zu werfen, hob er die Tatze und schlug danach. Er knurrte böse.
»Fangt ihn! Weg mit ihm!«
Severina atmete schwer und griff sich ans Herz. Der Kaiser machte eine ungeduldige Handbewegung, das Volk versuchte die Wärter
anzutreiben. Einige wollten, dass sie dem Löwen freie Bahn ließen, andere wieder wollten, dass der Großneffe des Kaisers ungeschoren
davonkam. Die Geschichte, die sich um ihn, um den blonden Gladiator und seine Mutter rankte, interessierte sie mehr. Sie sollte
nicht mit ihnen sterben.
Schließlich richtete sich die Wut der Zuschauer gegen die Wärter, denen es nicht gelang, den Löwen wieder einzufangen. Mit
Schmährufen wurden sie bedacht, mit Beleidigungen überschüttet.
Der Kaiser gab den beiden ein unmissverständliches Zeichen. Wenn sie nicht bald dafür sorgten, dass sein Großneffe in Sicherheit
kam, würde sie eine harte Strafe erwarten.
Die beiden Wärter begriffen sofort, dass auch ihr Leben auf dem Spiel stand. In geduckter Haltung kamen sie, das Netz zwischen
sich gespannt, in die Arena und bewegten sich vorsichtig auf den Löwen zu, der immer unruhiger wurde. Zwar entfernte er sich
von ihnen, ließ sie aber keinen Augenblick aus den Augen und fauchte leise. Das Publikum durfte nun hoffen, dass er sich gegen
das Netz mit aller Kraft zur Wehr setzen würde. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die beiden Wärter, auf Thumelicus, Silvanus
und Thusnelda achtete kaum jemand.
»Fangt ihn!«, schrie Severina aufs Neue. »Ich lasse euch schlachten, wenn meinem Sohn etwas zustößt!«
|421| Das gemeine Volk johlte, sämtliche Gäste in der kaiserlichen Loge saßen da wie gelähmt, in den unteren Rängen hielt der römische
Adel den Atem an.
Nun endlich schien der Löwe bereit zum Angriff zu sein. Mit einem gefährlichen Knurren kam er den beiden Wärtern entgegen,
die prompt wieder zauderten und zitternd stehen blieben.
»Fangt ihn! Fangt ihn!«
Der Löwe schlug mit der Tatze, obwohl er noch mehrere Schritte von den Wärtern entfernt war. Von der Stirn des einen tropfte
der Schweiß, der andere schluchzte vor Angst. Dennoch bewegten sich beide vorsichtig weiter. Der Druck, den der Kaiser und
seine Nichte ausübten, wog schwerer als ihre Angst.
Sie verständigten sich mit einem Blick. Der eine Wärter wich daraufhin nach rechts aus, der andere nach links. Sie spannten
das Netz, der eine stieß einen kurzen Ruf aus, dann stürmten sie los, damit der Löwe nicht ausweichen konnte, bevor ihn das
Netz umfing.
Tatsächlich überraschten sie das Tier. Erschrocken wich es zurück, als die Tatzen in die Netzmaschen griffen und sich prompt
verfingen. Wütend brüllte der Löwe auf und warf sich herum, um vor dem Netz zu fliehen, bevor die Wärter es hinter ihm schließen
konnten. Mit der ganzen Gewalt seines schweren Körpers, mit der ungeheuren Kraft, die in ihm steckte, sprang er einem der
beiden Wärter entgegen, der erschrocken die Arme hochriss, um sich zu schützen. Er fiel auf den Rücken, versuchte, sich im
Sturz von dem Löwen wegzudrehen, ihm den Rücken zuzukehren, als wäre damit sein Leben zu retten, aber die Pranke traf mit
voller Wucht seinen Hals, die Schulter, den Oberarm. Der Mann stieß einen gellenden Schrei aus und warf sich auf den Bauch,
als wollte er fortkriechen. Doch schon der nächste Schlag mit der Pranke brachte ihn zur Strecke. Das Publikum schrie unzufrieden
über die schnelle Entscheidung und kreischte dem zweiten Wärter nach, der das Netz fallen ließ und sein Heil in der Flucht
suchte.
Der tote Wärter blutete stark, der Löwe schlug noch mehrmals auf ihn ein. Oder war es nur der Versuch, sich endgültig aus |422| den Fängen des Netzes zu befreien? Es hatte sich in den Krallen verfangen, der Löwe konnte schlagen, wie er wollte, es löste
sich nicht. Sein wütendes Gebrüll übertönte alles andere.
Nur Severinas Schrei nicht. »Silvanus! Rette dich!«
Silvanus blieb jedoch stehen, wo er stand. Neben seinem Bruder, der das Schwert des Vaters erhoben hatte. Das Schwert ihres
Vaters. Thusnelda hinter ihnen, die Augen weit aufgerissen,
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