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Die Frau des Germanen

Die Frau des Germanen

Titel: Die Frau des Germanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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unfähig zu sehen und zu begreifen, was geschah.
    Die Wut des Löwen wuchs mit jedem Schlag seiner eigenen Pranken. Aus dem Wärter war längst ein bluttriefendes Stück Fleisch
     geworden, als der Löwe endlich den Kampf gegen das Netz gewonnen hatte. Ein letzes Mal schüttelte er die Tatzen, dann fasste
     er die drei Menschen ins Auge, die ihm gegenüberstanden.
    »Mein Sohn! Holt meinen Sohn da raus!«
    Severinas Schrei erhielt diesmal ein gespenstisches Echo, da sich erneut Stille auf die Ränge legte. Aus dem anfänglich vorsichtigen
     Löwen war ein blutrünstiges Untier geworden. Er hatte Blut gerochen und wollte mehr Blut.
    Thumelicus trat einen Schritt vor, mit dem linken ausgestreckten Arm drängte er Silvanus zurück, der an seiner Seite bleiben
     wollte. »Steh meiner Mutter bei! Bitte!«
    Dann senkte Thumelicus das Schwert, trug es vor sich her und sorgte stets dafür, dass die Spitze auf den Rachen des Löwen
     zeigte. Der starrte es an, wich zur Seite aus, spürte anscheinend unter seiner Tatze das warme Blut des Wärters … dann sprang
     er.
    Thumelicus wich geschickt aus und tänzelte einige Schritte zur Seite. Damit hatte er erreicht, dass der Abstand zu Silvanus
     und zu seiner Mutter größer geworden war. Anscheinend glaubte er wirklich, dass er nicht nur um sein eigenes Leben, sondern
     auch um das Leben seines Bruders und seiner Mutter kämpfte.
    Der Löwe duckte sich nun, und auch Thumelicus ging leicht in die Knie, beugte den Oberkörper, schob das Schwert vor. Der Löwe
     wich geschmeidig zur Seite aus, Thumelicus tat es ihm |423| gleich. Ohne sich aus den Augen zu lassen, umrundeten die beiden einander.
    Dann – ein gellender Schrei! Der Schrei eines einzigen Menschen! Thumelicus war es, der schrie. Seine ganze Kraft fuhr mit
     diesem Schrei aus ihm heraus, sein Mut, die Verzweiflung, die Hoffnung und sein fester Wille. Er hatte den Löwen genau beobachtet
     und den Moment erkannt, bevor er zum Sprung ansetzte. Schon als der Löwe sich spannte, stieß er zu. Die Vorderläufe waren
     noch nicht gestreckt, da raste das Schwert dem Tier bereits entgegen, Augenblicke, bevor der Löwe Thumelicus anspringen und
     zu Boden werfen konnte.
    Das Schwert fuhr Thumelicus voran, der Löwe sprang geradewegs hinein. Hinein in den weit geöffneten Rachen! Der Löwe kippte
     zu Seite, überschlug sich, brüllte einmal kurz auf, versuchte, mit schnellen Kopfbewegungen das Schwert aus seinem Rachen
     zu lösen, aber mit der Blutfontäne, die sich aus seinem Maul ergoss, wich das Leben aus ihm. Es strömte mit dem Blut aus ihm
     heraus. Zuckend legte er sich auf die Seite, dann ging ein letztes Vibrieren durch seinen Körper … und er bewegte sich nicht
     mehr.
    Die eisige Stille wurde von einem Orkan der Begeisterung weggespült. Geschenke wurden in die Arena geworfen, Blumen, Früchte,
     Leckereien. Ruhig, ohne Anzeichen vor Erregung, ging Thumelicus zu dem toten Löwen und zog das Schwert aus seinem Rachen.
     Triumphierend streckte er es in die Höhe und nahm die Ovationen der Römer entgegen.
    Dann ging er zu seinem Bruder und umarmte ihn. Gemeinsam traten sie zu Thusnelda und lösten ihre Fesseln, ohne den Kaiser
     vorher um Erlaubnis zu bitten.
    Tiberius lächelte Severina an, die kraftlos auf ihren Stuhl zurückgesunken war. »Du hattest wirklich recht, schöne Nichte.
     Das war die schlimmste Strafe für eine Mutter!«

Historische Figuren:
     
    Thusnelda
– Tochter des Cheruskerfürsten Segestes, Gemahlin von Arminius. Sie wurde von ihm aus der Burg ihres Vaters entführt, vermutlich
     mit ihrem Einverständnis. Schwanger wurde sie von Segestes zurückgeraubt und als Geisel an Germanicus übergeben. In römischer
     Gefangenschaft brachte sie ihren Sohn zur Welt, im Triumphzug des Germanicus wurde sie mit dem kleinen Thumelicus als Trophäe
     mitgeführt. Ihr Vater Segestes wohnte sogar diesem Schauspiel bei. Über Thusneldas weiteres Leben und ihren Tod ist nichts
     bekannt.
     
    Arminius
– Fürst der Cherusker, um 17 v. Chr. geboren. Er brachte den Römern im Jahre 9 n. Chr. in der Varusschlacht mit der Vernichtung
     von drei Legionen eine verheerende Niederlage bei. Als Kind wurde er, zusammen mit seinem Bruder Flavus, zur Erziehung und
     militärischen Ausbildung (und als Geisel) nach Rom geschickt, später kehrte er in die Heimat zurück, wo sein Kampf gegen die
     römische Zwangsherrschaft begann. Mit der Varusschlacht befreite er zwar sein Volk, dennoch machte er sich nicht nur Freunde.
    

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