Die Frau des Germanen
zurückkehren. In das römische Haus, dem du vorstehst.
Mit der Bedienung von unzähligen Sklaven …«
Aber Hilger verlor bereits das nächste Gefecht. Er fiel einem Mordanschlag zum Opfer. Inaja fand ihn mit zertrümmertem Schädel
vor seiner Höhle, als sie ihm das nächste Mal etwas zu |78| essen bringen wollte. Wer für seinen Tod verantwortlich war, stellte sich niemals heraus. Vielleicht jemand aus seinem Stamm,
für den er ein Verräter geworden war, vielleicht jemand aus ihrer Familie, der nicht zulassen wollte, dass sie ihm nach Rom
folgte … Die Wahrheit kam nie ans Licht.
Der Traum von Rom war damit ausgeträumt, doch in Vergessenheit geriet er nie. Da konnte ihr Vater noch so oft sagen, dass
Hilger ein Schwärmer gewesen war, ein Phantast, der nicht mit dem zufrieden sein wollte, was ihm durch Geburt vorbestimmt
war, und ein Faulpelz und Lügner, der ihr nur so lange ein gutes Leben in Rom versprochen hätte, bis er nicht mehr darauf
angewiesen war, dass sie ihm etwas zu essen in seine Höhle brachte. Inaja wollte den Traum trotzdem nicht vergessen.
Von weitem hatte sie dabei zugesehen, wie Hilger in einem Loch am Waldrand verscharrt wurde. Später stand sie lange vor seinem
Grab und schwor ihm, den Traum seinetwegen nie ganz aufzugeben. Er war zu schön gewesen, um vergessen zu werden. Und Hilger
war zu außergewöhnlich gewesen, um ihn zu vergessen. Aber dann hatte sie ihm auch noch versprochen, sich von nun an nur noch
auf die Träume zu konzentrieren, die in Erfüllung gehen konnten. Ein gutes Leben in Thusneldas Haushalt, mit einem treusorgenden
Ehemann an ihrer Seite. Damit wollte sie sich begnügen. Der Traum von Rom lag neben Hilger unter dem Erdhügel, den sie so
lange besuchte, bis er sich der Landschaft gleichgemacht hatte. Schon im folgenden Sommer war er nicht mehr von der Vegetation
zu unterscheiden, die ihn umgab. Die Erinnerung an Hilger verblasste, so wie der Traum …
Dann aber hatte sie Flavus gesehen, so blond wie Hilger, mit dem gleichen schmalen Gesicht und den kleinen Augen, die so rastlos
waren wie Hilgers. Mit seinem hochmütigen Lächeln, den schmalen Händen Hilgers, die doch so kräftig zupacken konnten, mit
seinem Körper, der ihr gezeigt hatte, dass der Schmerz zur Liebe gehörte.
»Wenn sie nicht wehtut, die Liebe, dann ist sie nicht richtig«, |79| hatte Hilger gesagt, wenn sie unter seinen Händen, unter seinem Körper aufgeschrien hatte.
Dann war er zufrieden gewesen, weil er sicher sein konnte, dass sie ihn wirklich liebte.
Sanften Händen und Zärtlichkeiten konnte sie seitdem nicht mehr trauen. Hilger hatte Maßstäbe gesetzt. Seine Liebe war richtig
gewesen, sein Weg in Inajas Herz war der kürzeste, der am sichersten zum Ziel führte. Wer sich ihr zu Füßen legte, konnte
nichts von ihr erwarten, wohl aber der, der sie zu seinen Füßen zwingen konnte. So wie Hilger.
In der Nacht nach Fürst Segimers Tod hatte Inaja sich erhoben, ohne dass es jemand bemerkte. Sie lauschte auf den Atem ihrer
Herrin, den sie genau kannte, und wusste, dass Thusnelda fest schlief. Die Mägde, die einen langen, schweren Tag hinter sich
hatten, waren sofort in Schlaf gefallen, einige von ihnen schnarchten leise. Der Glut des Feuers am nächsten lagen die Witwe
und ihre Tochter, auch sie rührten sich nicht. Ein schwacher Schein fiel auf ihre Gesichter, Inaja beobachtete sie eine Weile,
dann war sie sicher, dass auch diese beiden fest schliefen. Das Stroh raschelte, als sie sich erhob, aber sie war sorglos.
Es gab einen guten Grund, sich während der Nacht zu erheben und das Haus zu verlassen. Den würde sie anführen, wenn sie ertappt
wurde.
Er griff nach ihr, kaum dass sie sich ein paar Schritte vorangetastet hatte. Im schwachen Mondlicht konnte sie sein helles
Haar ausmachen und sein schmales Gesicht. Beinahe hätte sie Hilgers Namen geflüstert.
Mit einer herrischen Bewegung streifte er ihr wollenes Tuch ab. »Wehe, du gibst einen Laut von dir«, zischte er.
Zitternd gehorchte Inaja, verschloss ihre Lippen, wie er befohlen hatte, und rührte sich nicht, als er sie warnte: »Halt still,
sonst beiße ich dir die Brustwarzen ab!«
Sie hielt still, als sich seine Zähne in ihr Fleisch gruben, stöhnte nur ganz leise, als seine Fingernägel ihre Haut aufrissen,
und blieb gekrümmt liegen, als er sie plötzlich von sich stieß.
»Flavus!«, war eine leise Stimme zu hören. »Bist du es?«
|80| Inaja kroch in den Schatten des
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