Die Frau des Germanen
Richtige, um dem Oberbefehlshaber Germaniens zu helfen. Er wird das Kommando über eine berittene Truppe
übernehmen, die Publius Quinctilius Varus direkt unterstellt ist.« Sie schöpfte tief Luft, als müsste sie Mut einatmen, um
alles, was sie sich eingeprägt hatte, überzeugend zur Sprache zu bringen. »Mit fünfhundert Reitern wird Arminius von nun an
in Germanien für Ruhe und Ordnung sorgen. Er soll die Stämme dazu bringen, freiwillig Steuern zu bezahlen und sich zu Rom
zu bekennen. Immer noch gibt es viele, die sich dagegen wehren und mit Rom nichts zu tun haben wollen. Sie begreifen anscheinend
nicht, was der römische Kaiser für sie zu tun bereit ist. Er geht |76| davon aus, dass niemand für diese Aufgabe so gut geeignet ist wie Arminius. Er wird wie ein Römer handeln, aber überzeugender
sein als ein Römer, da er seine Wurzeln in Germanien hat.«
Erschöpft ließ sich Agrippina auf ihre Liege zurücksinken und gab der Sklavin ein Zeichen, damit sie mit der Enthaarung fortfuhr.
Anscheinend hatte sie sich die vielen Worte sorgsam zurechtgelegt, oder sie waren ihr von ihrem Gemahl eingetrichtert worden.
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für die Eroberung der römischen Provinzen interessierst.« Severina erhob sich und wandte
sich ab, weil sie Angst hatte, sich mit einer unüberlegten Reaktion zu verraten. »Sag meinem Bruder, ich lasse mich von ihm
zu nichts zwingen. Wenn er einen Mann für mich ausgesucht hat, dann vergisst er das am besten gleich wieder.«
»Aber Antonius Andecamus wäre genau richtig für dich! Von adeliger Herkunft und außerdem steinreich! Was willst du mit einem
Barbaren?«
Severina gewann allmählich die Oberhand zurück. »Wer sagt, dass ich überhaupt irgendeinen Mann will?« Sie betrachtete ihre
Schwägerin mit einem verächtlichen Lächeln. »Also wirklich, Agrippina! Deine vielen Schwangerschaften …«
»… machen dumm?«, unterbrach Agrippina. Dass sie diese Beleidigung mit einem Lächeln wiederholte, hätte Severina gleich zu
denken geben müssen. Aber tatsächlich hatte sie von ihrer Schwägerin noch nie eine Boshaftigkeit zu hören bekommen, deswegen
war sie sehr überrascht, als Agrippina ergänzte: »Dann pass gut auf deine Intelligenz auf. Du siehst wirklich nicht aus, als
ginge es dir gut.«
Damals war es Hilger gewesen, dem ihr Herz gehörte. Blond war er, hellblond, mit einem schmalen Gesicht und kleinen, flinken
Augen, die mehr zu sehen schienen als alle anderen, mit einer rohen Kraft, mit der er alles verteidigte, was ihm gehörte.
Sein Leben, seinen Besitz, die Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Er war geschaffen, ein Krieger zu sein.
|77| Eines Tages stand er vor ihrer armseligen Kate und bat um Wasser und um einen Verband für seine blutenden Füße. Auf dem Weg
nach Rom war er, im römischen Heer wollte er Dienst tun. »Ein Leben im glorreichen Rom!« Mit leuchtenden Augen erzählte er
davon, als er nach dem Becher mit Wasser auch noch Obdach und zu essen erhalten hatte. Von den vielen Häusern berichtete er,
von Häusern aus Stein, die sich aneinanderreihten, eins an das andere, von Tempeln, von Thermen und Amphitheatern, von Wasserleitungen,
aus denen warmes Wasser floss, von Räumen, die ohne Feuer geheizt wurden, von Liegesofas, Schminktischen, Teppichen, Tischen
aus Marmor, Gold und Silber, von Badezimmern und gläsernen Wasserkaraffen, von kostbaren Wandmalereien und Mosaiken. Ein herrliches
Bild entstand vor ihr, solange Hilger in ihrer winzigen Kate lebte, ein Bild, in das sie selbst am Ende eintrat, in dem sie
leben wollte. Ja, leben in Rom! An Hilgers Seite!
Als ihre Eltern Hilger rauswarfen, weil sie ihn für einen Schmarotzer hielten und ihn nicht länger durchfüttern wollten, ging
sie so oft wie möglich zu der Höhle, in der er Schutz gesucht hatte, bevor er seinen Weg nach Rom fortsetzen wollte.
»Nimm mich mit«, bat sie jedesmal, wenn sie ihm etwas zu essen brachte.
Er versprach es hoch und heilig. »Ich bin ein guter Krieger, das habe ich oft genug bewiesen. Ich muss nur erst eine römische
Legion finden, in der ich dienen kann. Mein Stamm will gegen die Römer kämpfen, aber ich will auf die andere Seite. Ein römischer
Krieger will ich werden, kein germanischer mehr sein, der dem römischen Heer irgendwann unterliegen muss.«
»Und dann nimmst du mich mit?«, fragte Inaja erneut.
Genauso oft versicherte er es ihr. »Aus jedem Gefecht werde ich als Sieger
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