Die Frau des Germanen
Gefecht gefallen, aber vom unrühmlichen Strohtod konnte trotzdem keine Rede sein. Segimer hatte
sich nie dem Gefecht entzogen, sondern war klug und stark genug gewesen, alle Gegner zu besiegen und somit am Leben zu bleiben.
Eine schwere Wunde hatte er am Ende davongetragen, mit aufgeschlitztem Leib hatte er sich in die heimatliche Burg zurückgeschleppt,
mehr tot als lebendig. Dort war er gesundgepflegt worden, aber von da an kampfunfähig gewesen und in längeres Siechtum verfallen.
Sein Tod war also die Folge eines Gefechtes, alle waren sicher, dass er im Goldpalast Walhallas saß, unter den Zweigen der
Esche Yggdrasil, die die ganze Welt überragte, an der Seite des Göttervaters Odin. Die Totengöttin Hel holte nur die Ehrlosen
in ihr dunkles Reich oder die Krieger, die sich feige davongemacht hatten, statt sich dem Gegner zu stellen. Wenn sie an Alter
oder Krankheit starben, hatten sie den Strohtod erlitten und durften nicht nach Walhalla, sondern mussten ins unterirdische
Totenreich der Göttin Hel einziehen. Jeder germanische Krieger hatte Angst davor. Sie alle stürzten sich in den Kampf, um
am Ende neben Odins Thron zu sitzen. Nicht einmal seine Gegner hätten Segimer den Strohtod gewünscht. Sie waren genauso dankbar
wie seine Familie, dass er an den späten Folgen eines schweren Kampfes gestorben war.
Lange Bänke waren auf dem Platz vor dem Haus aufgestellt worden. Auf langen Tischen, die aus hölzernen Böcken mit darüber
gelegten Tafeln bestanden, wurden Brotfladen und gepökelter Fisch angeboten.
|83| Thusnelda hatte sich von Inaja ein Stück Brot bringen lassen und gab nun vor, sich auf dessen Verzehr zu konzentrieren. Sehr
aufrecht saß sie da, den Kopf, der von blonden Flechten gekrönt wurde, hoch erhoben. Ihre blauen Augen wanderten ruhig von
einem zum anderen und bemühten sich, auf keinem Gesicht länger zu verweilen, als es sich für die zukünftige Ehefrau Fürst
Aristans gehörte. Ihr Vater hatte sie überall als Aristans Braut vorgestellt, also wurde sie behandelt, als sei sie bereits
die Ehefrau des reichen Fürsten. Voller Ehrerbietung und Respekt! Thusnelda nahm beides huldvoll entgegen, damit ihr Vater
nicht noch einmal zornig auf sie war. Sie wollte alles tun, damit er ihr schlechtes Betragen in Ingomars Gegenwart vergaß.
Sie achtete gewissenhaft darauf, dass der Faltenwurf ihres Umhangs in gleichmäßigen Bahnen verlief und die roten Ornamente,
mit denen Inaja ihn bestickt hatte, gut zur Geltung kamen. Tagelang hatte Inaja mit der beinernen Nadel in der Hand dagesessen
und mit dem Wollfaden, den Amma gewirkt und rot gefärbt hatte, den Saum bestickt. Thusnelda fiel auf, dass Ingomars Augen
häufig den Stickereien nachgingen und er gelegentlich, wenn er glaubte, dass sie es nicht bemerkte, den Blick über ihre Knie
und ihre Brüste huschen ließ. Ihre Antipathie gegen ihn nahm mit jedem Blick zu, den sie auffing.
Wie anders war doch sein Neffe! Arminius hatte die stolze Haltung seines Vaters geerbt und den klaren Blick seiner Mutter.
Seine Augen huschten nicht zu seinem Gegenüber, tasteten nicht seine Gestalt ab, sie kränkten nicht und versprachen nichts.
Arminius’ Blick war offen und unvoreingenommen. Thusnelda hätte Segimers Nachfolger gern ausgiebig betrachtet, aber das war
natürlich unter der Würde einer Fürstentochter und der Verlobten von Fürst Aristan erst recht. Sie hatte sich für keinen anderen
Mann zu interessieren, mochte sein Anblick auch noch so sehr ihr Herz berühren. Von ihren sehnsüchtigen Gedanken wusste ja
niemand etwas. Kein Mensch, vor allem ihr Vater nicht, ahnte, in welchem Luftschloss sich ihre Gedanken eingenistet hatten.
Wenn sie nun nicht dem reichen Semnonenfürst versprochen |84| wäre … ob Fürst Segimer und ihr Vater dann beschlossen hätten, ihre Kinder miteinander zu vermählen?
Thusnelda erschrak. Was ging da nur in ihrem Kopf vor? Waren das ihre eigenen Gedanken, oder hatten sich Inajas törichte Wünsche
in ihrem Kopf verselbständigt? Arminius sei einer Fürstentochter würdig, hatte sie gesagt, jetzt, wo er seinem Vater auf den
Fürstenthron gefolgt war, nicht weniger als Fürst Aristan.
Plötzlich bemerkte Thusnelda, dass Arminius’ Blick auf ihr ruhte. Sie wurde rot, weil es ihr schien, als wären ihr die unbotmäßigen
Gedanken von der Stirn abzulesen gewesen. Arminius lächelte, und sie lächelte nach kurzem Zögern zurück, obwohl sie sich verboten
hatte, auf
Weitere Kostenlose Bücher