Die Frau des Germanen
Erklärungen.
Hastig öffnete sie ihren Umhang und ließ ihren Sohn sehen, was sie darunter verbarg.
Seine Augen weiteten sich. »Was ist das?«
»Das Schwert deines Vaters«, antwortete sie. »Hermut hat es mir gegeben. Er war Arminius’ bester Freund. Auf dem Sterbebett
hat dein Vater ihm das Versprechen abgenommen, dir sein Schwert auszuhändigen. Hermut hat es nach Rom gebracht, und ich bin
nun hier, um Arminius’ letzten Wunsch zu erfüllen.« Sie zog das Schwert vorsichtig hervor, ein Kurzschwert, das aufblitzte
in dem Licht, das die Treppe herunterfiel, mit einem Schaft, der mit Edelsteinen besetzt war. »Wenn du eine Chance hast, den
Kampf gegen den weißen Löwen zu gewinnen, dann mit diesem Schwert.«
Es beunruhigte sie, dass er keinen Blick dafür hatte, dass seine Augen an ihrem Gesicht hängenblieben. Es war keine Zeit!
Keine Zeit für Mutter und Sohn. Nur diese winzige Chance, sein Leben zu retten, mehr nicht.
»Nimm es, Thumelicus!«, drängte sie. »Und kämpfe, wie dein Vater gekämpft hat.«
Diesmal hörte sie die schweren Schritte zu spät. Sie konnte den Wärtern nur noch aus weit aufgerissenen Augen entgegenblicken.
Keine Möglichkeit zur Flucht, kein Versteck. Es war zu spät! Auch ihr Versuch scheiterte, das Schwert durch die Gitterstäbe
zu drängen und ihrem Sohn heimlich in die Hände zu geben. Zu spät!
Schon wurde es ihr aus den Fingern gewunden. »Was ist das? Was willst du hier einschmuggeln? Willst du diesem Kerl etwa einen
Vorteil verschaffen?«
»Thumelicus!« Ihre Stimme gellte durch die Katakomben.
Er aber antwortete nicht. Sie sah, wie er in seine Höhle |17| zurückwich. Ihre Hilflosigkeit war zu seiner geworden. Die Angst vor dem weißen Löwen hatte ihm seinen Mut nicht rauben können,
die Niederlage seiner Mutter jedoch hatte ihn schon besiegt, bevor er in die Arena gehen musste.
Grobe Hände griffen nach ihr. Einer der beiden Wärter steckte das Schwert hinter seinen Gürtel. »Soll der Kaiser sich diese
Waffe ansehen! Soll er entscheiden, was mit dem Weib zu tun ist!«
Die Wärter zogen sie mit sich, zerrten sie den Gang entlang, scherten sich nicht darum, dass sie strauchelte, schleiften sie
weiter, grob, gnadenlos. Das Letzte, was sie sah, war ein Zipfel von Hermuts Umhang. Wieder hatte er sich rechtzeitig hinter
dem Mauervorsprung verbergen können. Und dann sah sie, ehe sie ohnmächtig wurde, noch das Gesicht der Frau. Ja, es war tatsächlich
Inaja …
1.
D ie Sonne stand hoch über der Eresburg, der Himmel war wolkenlos und klar. Aber das Licht, das auf die niedrigen Dächer fiel,
wärmte nicht, es beschien nur die Kälte des ersten Frühlingstages. Hoffnung schenkte es, aber noch keine Erlösung. Der Wind,
der über die Wiesen und Felder gegen die Eresburg anstürmte, war immer noch eisig. Die schmalen Windaugen der Burg waren sorgsam
verhängt worden.
»Segimund hat erzählt, dass es in Rom Fenster gibt«, sagte Thusnelda und sah ihrer Dienstmagd zu, wie sie den Holzbottich
mit dem Wasser füllte, das sie kurz vorher vom Brunnen geholt hatte.
Inaja richtete sich auf, ließ die Arbeit im Stich und sah ihre Herrin mit großen Augen an. Wie immer, wenn von Rom die Rede
war. »Fenster? Was soll das sein?«
»Windaugen aus Glas. Das Licht dringt hindurch, aber Kälte und Wind nicht.«
Inaja schüttelte ungläubig den Kopf. »Seid Ihr sicher, dass Euer Bruder die Wahrheit gesagt hat?«
»Ganz sicher!« Thusnelda lachte und löste die Kordel ihres Nachtgewandes.
»Dann wird’s wohl stimmen«, seufzte Inaja. »So was Verrücktes kann man sich nicht ausdenken. Windaugen aus Glas!« Sie schüttelte
den Kopf, als habe man ihr eine dreiste Lüge aufgetischt, aber Thusnelda schien es, als lächelte sie. »Da der Herr Segimundus
schon seit Jahren als hoher Priester in Rom ist, wird man ihm wohl glauben dürfen.« Sie wies mit einladender Geste zu dem
Holzbottich. »Nun stellt Euch hinein, damit ich Euch abwaschen kann.«
|20| Thusnelda löste die Fibel auf ihrer linken Schulter und ließ ihr Nachtgewand zu Boden fallen. Die langen blonden Haare fielen
über ihren Rücken. Sie griff in ihren Nacken und ließ die Fingerspitzen durch die Locken gleiten. Mit geschlossenen Augen
stand sie da, als müsste sie sich auf ihre Morgentoilette konzentrieren, auf die sie großen Wert legte. Egal, zu welcher Jahreszeit,
gleichgültig, ob es kalt oder warm in ihrer Kammer war. Sie ließ sich von ihrer Dienstmagd sogar von Kopf
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