Die Frau des Germanen
Klef sein Pferd umwandte und auf das Wäldchen zuritt. Nur Inaja bemerkte es. Mit einem
kurzen warnenden Blick gab sie Hermut ein Zeichen. Klef hatte gesehen, wohin sich Arminius und Thusnelda gewandt hatten. Wahrscheinlich
als Einziger! Konnte er zu einer Gefahr werden?
Hermut schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, dieser Junge konnte nichts ausrichten. Man musste nur verhindern, dass die
fünf anderen Reiter sich ihm anschlossen und mit ihm gemeinsam das Waldstück durchkämmten. Dann konnte es gefährlich werden.
Arminius allein gegen sechs Männer, wenn sie auch nicht zu den besten der Eresburg gehörten, das war schon schwierig. Aber
da er Thusnelda zu schützen hatte, würde er nicht frei sein für einen beherzten Kampf.
Doch zum Glück achtete niemand auf Klef, da nun die Wachmannschaft der Teutoburg auf die Gruppe zuritt. Mit erhobenen Waffen
verlangten sie, dass man Hermut, einen Bewohner ihrer Burg, in Ruhe heimkehren ließ. »Er ist der beste Freund unseres Fürsten!
Nehmt euch in Acht!«
Thusnelda stand stocksteif da. Mit einem Mal war aus dem kühnen Entschluss des jungen Mädchens die Entscheidung einer Frau
geworden, die sich der Tragweite ihrer Handlung bewusst wurde. Aus der großen Hoffnung war Gefahr worden, womöglich entstand
eine große Schuld daraus. Was bis jetzt in ihrem Kopf bewegt worden war, zog nun erst in ihr Herz ein. Die Angst, die im Kopf
entstanden war, tat erst im Herzen schrecklich weh, die Gedanken, die den Geist so elegant passiert hatten, stifteten im Herzen
viel Verwirrung, und das Wort Schuld flatterte durch sie hindurch wie ein Gespenst, an das keiner glaubte. Im Herzen jedoch
nahm es Gestalt an. Sie tastete nach der Bernsteinkette |143| und flehte lautlos ihre Mutter an, ihren Entschluss zu billigen und ihr ein Zeichen zu geben, dass sie mit der Entscheidung
der Tochter einverstanden war. Die Sicherheit, mit der sie sich noch am Tag vorher stolz erhoben und zu Inaja gesagt hatte,
dass auch eine Frau über ihr Leben entscheiden dürfe, war plötzlich dahin.
Obwohl Arminius’ Nähe ihr längst vertraut war, fiel es ihr nun schwer, sich neben ihm niederzulassen. Er schien ihre Scheu
zu spüren und sah sie fragend an. »Angst?«
Thusnelda nickte. »Was, wenn sie uns hier entdecken?«
Arminius antwortete nicht. Warum auch? Sie hatten diese Frage hundertmal erörtert, bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzten.
Sie waren sich einig gewesen, dass ihre Liebe das Risiko wert war, dass sie lieber auf ihre Freiheit oder ihr Leben verzichten
wollten als auf diese Liebe.
Zitternd hockte sie neben Arminius auf dem Waldboden, und er zog sie so behutsam in seine Arme, als befürchtete er, sie könne
seine Berührung abwehren. Erst als sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte, schloss er beide Arme fest um ihren Körper. »Nicht
wankelmütig werden«, bat er leise. »Wir wussten, dass es nicht leicht sein würde.«
Thusnelda schloss die Augen und nickte. Er hatte recht. Nicht wankelmütig werden! Einfach warten, bis die Gefahr vorüber war!
Klef würde einsehen, dass er das falsche Paar verfolgt hatte. Die fünf anderen würden ihn beschimpfen und ihm Vorwürfe machen,
aber in der Teutoburg würde man dafür sorgen, dass Inaja und Hermut nichts geschah. Man wartete dort auf sie, alles, was im
Umkreis geschah, wurde genau beobachtet. Und selbst, wenn Inaja und Hermut weit vor den Toren der Burg angehalten wurden,
würde man ihnen zur Hilfe eilen.
Es konnte den beiden nichts geschehen. Hermut war ein freier Mann, er hatte sich seine Braut geholt, die ohne Familie war
und daher von niemandem zurückgefordert werden konnte. Dass Inaja ihrer Herrin zur Flucht verholfen hatte, konnte nur in der
Eresburg verhandelt werden, aber niemand konnte sie |144| zwingen, dorthin zurückzukehren. Und wenn jemand den Versuch machte, würde Hermut es verhindern.
Thusnelda legte die Hände in den Schoß und starrte durch die Baumreihen, bis sie einen Stamm nicht mehr vom nächsten unterscheiden
konnte. Arminius hatte ihr fest versprochen, dass die Entführung ohne Blutvergießen abgehen würde. Das Schwert, das er immer
bei sich trug, sollte nur ins Spiel kommen, wenn es galt, ihr Leben zu verteidigen.
Der Wald schloss sich wie ein Ring um sie. Die Kälte, die Stille, die Dunkelheit waren Teil dieses Rings und sie beide das
Zentrum. Die Zeit des Wartens jedoch dehnte den Ring, machte ihn leichter und weiter und ließ schließlich sogar ein
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