Die Frau des Germanen
ähnlich war.
Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass sie von Agrippina beobachtet wurde. Schnell setzte sie Silvanus auf die Erde zurück
und schickte ihn mit einem sanften Klaps zurück zu Sosia.
Während Agrippina ihm mit den Blicken folgte, fragte sie leise: »Wird Silvanus jemals erfahren, wer sein Vater ist?«
Severina strich ihre Tunika glatt, ehe sie antwortete: »Ich habe seinen Namen selbst längst vergessen.«
Agrippina seufzte leise und schüttelte missbilligend den Kopf. Natürlich glaubte sie Severina kein Wort. Aber war sie nicht
selber schuld? Wenn sie nicht angelogen werden wollte, dann musste sie endlich aufhören, Fragen zu stellen. Der Name von Silvanus’
Vater würde Severina nicht über die Lippen kommen! Wollte Agrippina das nicht endlich einsehen? Natürlich glaubte sie ihn
zu kennen, trotzdem hütete Severina sich davor, ihn auszusprechen. Schlimm genug, dass Flavus die ganze Wahrheit kannte. Er
hatte die Nachricht, die sie damals Arminius geschickt hatte, nicht nur gelesen, er bewahrte sie sogar in seinem Haus auf.
Anscheinend hatte sein Bruder sie ihm in die Hand gedrückt, als er Flavus mit der Botschaft nach Rom schickte, |203| dass er weder an Severina noch an ihrem Kind interessiert sei.
Noch vor wenigen Tagen hatte er ihr erneut einen Heiratsantrag gemacht. »Überlegt es Euch, schöne Severina! Man redet bereits
über Euch und Euren blonden Sohn! Wollt Ihr das Kind dem öffentlichen Spott aussetzen?«
»Was für ein Unsinn!«, hatte Severina ihn angefahren. »Silvanus ist der Urenkel des römischen Kaisers. Über den wird nicht
öffentlich gespottet!«
Am liebsten hätte sie ihn mit Verachtung gestraft, wie sie es früher getan hatte, als er nichts als ein lästiger Verehrer
gewesen war. Aber das war nun nicht mehr möglich. So wenig sie geneigt war, seinen Antrag anzunehmen, Flavus war ihre einzige
Verbindung zu Arminius. Sie brauchte ihn für ihre Pläne. Außerdem war er der Einzige, der die Wahrheit kannte. Agrippina und
Germanicus glaubten sie zu kennen, aber das war etwas anderes. Flavus hielt den Beweis in Händen, und deswegen musste sie
vorsichtig sein. Außerdem würde er ihr für ihre Rache von Nutzen sein können. Bis es so weit war, war es klüger, seine Hoffnung
nicht ganz zu zerstören. Nur solange er sie liebte, war sie einerseits vor ihm sicher und konnte andererseits auf seine Unterstützung
bauen.
»Euer Bruder steht zwischen uns!« Diese Antwort bekam Flavus auf jeden Heiratsantrag. »Solange er lebt, kann ich Euch nicht
heiraten …«
Von Mal zu Mal wurde sein Gesicht entschlossener, ganz, wie Severina es vorausgesehen hatte. Er verabschiedete sich mit einer
tiefen Verbeugung und kündigte an, dass Severina viel Zeit zum Überlegen haben würde. »Ich werde morgen losreiten, um die
Kastelle am Rhein zu kontrollieren. Von einigen sind merkwürdige Beobachtungen gemeldet worden. Und es sieht ganz so aus,
als hätte mein Bruder damit zu tun.« Er zog sich zur Tür zurück. Severina ärgerte sich, dass es ihr nicht gelang, ihre Neugier
zu verbergen. Sie merkte es, als Flavus sich mit einem siegessicheren Lächeln von ihr trennte. »Bald werdet Ihr froh sein,
wenn niemand den Verdacht äußert, dass Arminius der Vater |204| Eures Sohnes ist. Dann nämlich könnte Silvanus in großer Gefahr sein. Und das wollt Ihr doch nicht, oder? Ihr habt die Wahl:
Silvanus, der Sohn eines Römerfeindes, oder Silvanus, der Sohn eines geachteten römischen Offiziers germanischer Abstammung.«
Er fuhr sich durch sein Haar. »Eines blonden Offiziers wohlgemerkt«, ergänzte er.
Damit ging er und ließ Severina in großer Unruhe zurück. Stimmte es, was Flavus sagte? Oder nannte er Arminius nur einen Römerfeind,
damit sie sich gezwungen sah, ihren Sohn vor dem eigenen Vater zu schützen und seinen Onkel zu heiraten?
Terentilla kam aus dem Haus, eine Silberschale mit Honiggebäck in Händen. Sie sah bleich aus, ihr Blick schien sich nach innen
zu richten, als müsste sie sich nicht auf den Weg konzentrieren, den sie zurückzulegen hatte, sondern auf die Kraft, die sie
dafür aufzuwenden hatte. Sie machte ein paar unsichere Schritte auf den Rasen, dann fingen ihre Knie an zu zittern, ihre Arme
sanken herab, die Silberschale fiel aus ihren Händen. Agrippina und Severina wurden erst auf sie aufmerksam, als sie zu Boden
stürzte, auf den Rücken fiel und die Arme ausbreitete, als wollte sie sich endlich ausruhen.
»Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher