Die Frau des Praesidenten - Roman
halb elf zurück sein. Ich werde noch bei Mr. Blackwells Elternhaus vorbeischauen, weil ich vermute, dass er dort ist, aber falls er hier auftauchen sollte, sagen Sie ihm bitte, ich sei schon unterwegs in die Stadt.«
Im Haus seiner Eltern war er allerdings auch nicht. Als ich in die Einfahrt des palastartigen Anwesens einbog, sah ich Licht in der Küche und dachte zuerst, ich hätte ihn gefunden, aber auf meinem Weg zur Hintertür erkannte ich durch eines der Fenster Miss Ruby, die gerade den Gürtel ihres gelbbraunen Regenmantels schloss.
Sie öffnete mir, und ich sagte: »Charlie ist nicht da, oder?«
»Haben Sie’s im Country Club versucht?«
»Ich fürchte, dort ist er auch nicht.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Wir wollten uns ein Theaterstück ansehen, das um halb acht anfängt.«
Miss Ruby sah mich teilnahmslos an. Im Laufe der Jahrehatte ich oft genug erlebt, wie die Blackwells um ihre Missgunst wetteiferten – wenn sie Arthur zum Beispiel dafür schalt, dass er sein Glas ohne Untersetzer auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte, freute er sich wie über einen kleinen Sieg –, aber mir war nicht daran gelegen, in diesen Wettbewerb einzutreten. Miss Ruby mochte griesgrämig sein, aber sie arbeitete auch hart. Während unserer Urlaube hatte ich sie mehr als einmal um elf Uhr abends noch in der Küche beim Geschirrspülen angetroffen, und wenn ich dann morgens um acht wieder das Haus betrat, deckte sie den Frühstückstisch. Erst vor ein paar Jahren hatte ich erfahren, dass es neben der Küche ein Schlafzimmer für sie gab, zu dem auch ein eigenes Badezimmer gehörte. Aber die Nacht bei den Blackwells zu verbringen, statt zu Hause zu schlafen, erschien mir eher ein Nachteil ihrer Stelle zu sein als ein Privileg.
Inzwischen war es genau sieben Uhr, was bedeutete, dass ich den Beginn des Stücks sehr wahrscheinlich verpassen würde, was wiederum bedeutete, dass es jetzt auch nicht mehr darauf ankam. Ich wies mit einem Nicken auf die Hintertür. »Sie brechen gerade auf?«
»Wollte nur sichergehen, dass alles fertig ist für Mr. und Mrs.«
Ich hatte vergessen, dass Harold und Priscilla planten, das Wochenende hier zu verbringen, und dass wir deshalb am Samstagabend bei ihnen zum Abendessen erwartet wurden. Innerlich machte ich mir eine Notiz, Priscilla zu fragen, was ich mitbringen sollte.
Ich bedeutete Miss Ruby mit einer Geste, vorauszugehen, doch sie schüttelte fast unmerklich den Kopf – ich trat zuerst durch die Tür, und sie folgte mir. Draußen mochte es um die fünfzehn Grad warm sein, der späte Maihimmel verdunkelte sich bereits, und die Bäume, die den Rasen mit ihren Kronen überwölbten, waren voller neuer Blätter. Auf unserem Weg über den Kies der Einfahrt bemerkte ich, dass mein Auto das Einzige war, das hier parkte, und wandte mich zu Miss Ruby um. »Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?«
»Nein, Ma’am, ich nehme den Bus.«
»Dann möchte ich Sie zumindest bis zur Haltestelle bringen. Sie ist an der Whitting Avenue, oder?« Dort hatte ich sie manchmal am späten Nachmittag oder frühen Abend im Vorüberfahren stehen sehen.
»Das ist nicht nötig«, sagte sie.
»Doch, ich bestehe darauf.« Ich lachte etwas gezwungen. »Irgendetwas Sinnvolles muss ich ja nun mit meiner Zeit anfangen.« Sie stieg ins Auto, und ich hatte entschieden das Gefühl, sie täte es nur mir zuliebe.
Auf der Fahrt schwiegen wir. Beim Anlassen hatte das Radio eine Sendung des NPR fortgesetzt, die ich auf dem Hinweg gehört hatte, aber ich hatte es ausgemacht, falls Miss Ruby das Programm nicht mochte – Charlie verballhornte den Sendernamen in Anspielung auf die manchmal delikaten Talkthemen gern zu »National
Pubic
Radio«. Kurz vor der Kreuzung Montrose Lane / Whitting Avenue sagte ich: »Hätten
Sie
vielleicht Interesse, mit mir ins Theater zu gehen? Wir haben Karten für
Die Möwe
, und sie verfallen sonst. Aber fühlen Sie sich bitte nicht dazu verpflichtet – es wird eine ziemlich hektische Angelegenheit, wenn wir es noch schaffen wollen.« Sie antwortete nicht gleich, und ich fragte mich, ob ich ihr das Stück erklären oder etwas über den Autor erzählen sollte oder ob es anmaßend war, davon auszugehen, dass sie Tschechow nicht kannte.
»Ich denke, ich bin unpassend angezogen«, sagte sie schließlich, und ich warf einen Blick zu ihr hinüber. Ich befürchtete, sie könnte das schwarze Kleid anhaben, das sie bei der Arbeit trug – in einer Dienstmädchenuniform hätte ich auch nicht ins
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