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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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sprach gegen den Sonntag – »was halten Sie von Montag? Kommenden Montag ist doch Memorial Day.«
    »Ich denke, wir könnten kommen.«
    »Oh, Ella wird sich so freuen. Und Yvonne …? Ist der Vater des Kindes …«
    »Clyde. Er wohnt auch bei uns. Yvonne und er haben letzten Sommer geheiratet.«
    »Miss Ruby, ich hatte ja keine Ahnung, wie ereignisreich Ihr Leben ist. Wie haben sich die beiden denn kennengelernt?«
    »Er arbeitet auch im Krankenhaus, unten in der Kantine.« Miss Ruby gluckste leise. »Hat Yvonne ihren Kaffee serviert, man glaubt es kaum.«
    »Wie schön für sie.«
    Beim Marcus Center angekommen parkten wir in der Water Street und beeilten uns, hineinzugehen. Die Platzanweiser waren schon dabei, die Türen zu schließen, ließen uns aber noch durchschlüpfen, und wir erreichten unsere Plätze, als das Licht gerade ausging. Ich hatte
Die Möwe
noch nie gesehen und war sehr angetan von dem Stück; die Darstellerin der Arkadina war superb. Erst zu Beginn des zweiten Akts beschlich mich ein ungutes Gefühl. Wo
war
Charlie? Konnte ich wirklich sicher sein, dass er sich das Baseballspiel ansah, oder war er womöglich ganz woanders?
    In der Pause fand ich ein Münztelefon in der Eingangshalle, aber in Charlies Büro nahm immer noch niemand ab, und zu Hause sagte Shannon, sie hätte nichts von ihm gehört. Ich schwankte zwischen Irritation und Sorge. Genau genommen hatte ich bessere Gründe anzunehmen, dass er das Stück vergessen oder sogar absichtlich vermieden hatte hinzugehen, als dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. Im Laufe der letzten Monate hatte Charlie mich immer weniger gern ins Theater begleitet, und manchmal ließen wir Inszenierungen ganz aus, wenn ich sie nicht so dringend sehen wollte, als dass ich mir die Mühe gemacht hätte, ihn dazu zu überreden. Die traurige Wahrheit war, dass Charlie seit beinahe zwei Jahren schlechte Laune hatte; er war fast immer ruhelos und unleidlich.
    In gewissen Graden kannte ich diese Unruhe schon seit unserer ersten Begegnung. Charlie trommelte mit den Fingern auf der Tischkante, wenn ihm ein Abendessen bei Freunden zulang wurde, und flüsterte mir zu: »Ich wette, sogar Gott ist inzwischen eingeschlafen«, wenn er genug von einer Sonntagspredigt hatte. Bisher war seine Ruhelosigkeit aber eher körperlich und situationsbedingt gewesen als existentiell. Mit seiner jetzigen schlechten Laune war es anders: Sie richtete sich nicht gegen mich, aber sie war so sehr zu einer Konstante geworden, dass die Situationen, in denen er nicht davon befallen war, die Ausnahme waren.
    Ich hatte versucht, herauszufinden, wann das alles angefangen hatte, und es schien um seinen vierzigsten Geburtstag herum gewesen zu sein, im März 1986. Sehr zu meiner Überraschung hatte er niemanden einladen wollen – Ella, er und ich hatten mit Hamburgern und Möhrenkuchen allein zu Hause gefeiert –, und in den Monaten davor und danach sprach Charlie oft von seinem Vermächtnis. »Ich frage mich einfach, womit ich mir einen Namen machen werde«, sagte er dann. »Als Granddad Blackwell in meinem Alter war, hatte er eine Firma mit drei Dutzend Mitarbeitern auf die Beine gestellt, und Dad wurde mit vierzig vom Generalstaatsanwalt zum Gouverneur.« Wenn ich einmal ganz offen sein wollte, müsste ich gestehen: Charlie besaß viele Eigenschaften, von denen andere glaubten, sie müssten mich stören – seine ungehobelte Art, sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sein Talent, sich aus allem herauszuwinden – und die mir in Wirklichkeit nichts ausmachten. Aber diese zwanghafte Beschäftigung mit seinem Vermächtnis (sogar das Wort begann ich zu hassen) fand ich unerträglich. Sie erschien mir so selbstgefällig, so albern, so
männlich
; nicht ein einziges Mal habe ich eine Frau erlebt, die sich Gedanken über ihr Vermächtnis gemacht hätte, geschweige denn, darüber in Panik geraten wäre. Einmal erwähnte ich diese Beobachtung Charlie gegenüber so diplomatisch wie möglich, und er sagte: »Das liegt daran, dass ihr diejenigen seid, die die Kinder kriegen.« Diese Antwort fand ich wenig überzeugend.
    Was auch immer die Ursache seiner Unzufriedenheit sein mochte, Ende 1986 und Anfang 1987 wurde sie dadurch verschlimmert, dass bei Blackwell Meats in drei aufeinanderfolgenden Quartalen die Gewinne zurückgingen. Das löste einemonatelange Debatte darüber aus, ob das Unternehmen an die Börse gehen sollte, eine Idee, die Charlie unterstützte und die sein Bruder John, der nach wie vor

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