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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Theater gehen wollen –, aber unter ihrem Regenmantel erkannte ich eine rote Stoffhose und einen schwarzen Pullover.
    »Doch, das ist in Ordnung«, sagte ich. »Ich bin eigentlich sogar ein bisschen zu aufgedonnert. Waren Sie schon mal im Marcus Center?«
    »Jessica war mit ihrer Schule zu einem Chorkonzert an Weihnachten da.« Jessica war Miss Rubys Enkelin, die Tochter von Yvonne, und ich wusste, dass beide bei ihr wohnten; von Jessicas Vater hörte man nichts. Yvonne hatte Charlie und mirzu Beginn unserer Ehe während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester einige Male geholfen, Feste auszurichten, und arbeitete jetzt im St. Mary’s, einem Krankenhaus in der Innenstadt, in der Notaufnahme. Anders als ihre Mutter hatte Yvonne ein sonniges Gemüt, und ich hatte sie schon immer besonders gemocht. Ella vergötterte Jessica, die ein paar Jahre älter war als sie selbst, und wenn Miss Ruby ihre Enkelin zur Arbeit mitbrachte, wenn sie schulfrei hatte und Yvonne arbeiten musste, spielten die beiden Mädchen stundenlang in Priscillas Küche mit ihren Barbiepuppen. Mir fiel auf, dass ich Jessica und Yvonne schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte, schon seit Harold und Priscilla nach Washington umgezogen waren. »Geht Jessica noch auf die Harrison Elementary?«, fragte ich.
    »Ja, Ma’am, das tut sie.« Ein wenig unsicher fügte Miss Ruby hinzu: »Ich denke, ich könnte mir das Theaterstück ansehen.«
    Ich war ebenso verblüfft wie erfreut, bemühte mich aber um einen beiläufigen Tonfall. »Wundervoll«, sagte ich, und dann, während ich beschleunigte: »Jessica macht so einen intelligenten Eindruck. Müsste sie nicht inzwischen in der fünften Klasse sein?«
    »Sie ist in der sechsten bei Mr. Armstrong. Lauter Einsen im Zeugnis, zweite Vorsitzende der Schülervertretung, und in der Lord’s Baptist Church leitet sie die Jugendgruppe.«
    »Das ist ja großartig«, sagte ich. »Auf welche Junior Highschool wird sie gehen?«
    »Sie kommt auf die Stevens.«
    Ich riss mich zusammen, um nicht falsch auf diese Neuigkeit zu reagieren. Stevens war mit Abstand die schlechteste Junior Highschool in Milwaukee. Wir lebten in einem guten Wohnviertel, und Ella ging auf eine Privatschule, die Biddle Academy, aber man musste kein regelmäßiger Leser des
Milwaukee Sentinel
sein, um zu wissen, wie schlecht es den öffentlichen Schulen der Stadt ging – und ganz besonders dieser. Im vorherigen Jahr hatte an der Stevens ein Siebtklässler eine Schusswaffe mit in die Schule gebracht, die in der Pause losgegangen war, und innerhalb der letzten paar Monate waren zweiNeuntklässler von der Schule verwiesen worden, weil sie Crack verkauft hatten. (Neuntklässler! Und
Crack
! Das erinnerte mich daran, warum ich es vorgezogen hatte, jüngere Kinder zu unterrichten, obwohl ich mir so etwas in den siebziger Jahren nur schwer hätte vorstellen können.) »Welches ist denn Jessicas Lieblingsfach?«, fragte ich.
    »Englisch, glaube ich, aber sie ist in allen Fächern gut.« Miss Ruby deutete nach draußen. »Wenn Sie Zeit sparen wollen, fahren Sie den Howard Boulevard runter.«
    »Es freut mich, dass sie so erfolgreich ist«, sagte ich. »Wie geht es Yvonne?«
    »Schläft nicht viel, seit das Baby da ist. Er hat es wirklich gern, getragen zu werden.«
    »Du meine Güte, ich wusste ja gar nicht, dass Yvonne ein Kind bekommen hat. Wann denn?«
    »Antoine Michael wird am ersten Juni zwei Monate alt.«
    »Miss Ruby, das ist ja so aufregend. Ich würde ihn so gern sehen!« Ich hatte geglaubt, meine Vernarrtheit in Babys würde sich legen, wenn ich erst einmal mein eigenes bekommen hätte, aber sie ließ nicht nach. Nach wie vor war ich hingerissen von ihren winzigen Fingernägeln und Näschen und Ohrmuscheln, von ihrer unvergleichlich zarten Haut – sie erschienen mir wie zauberhafte Wesen von einem anderen Stern. Als Ella zum Kleinkind und später zum Schulkind heranwuchs, begrüßte ich jede neue Lebensphase; sie war immer ein lustiges und charmantes und natürlich auch anstrengendes Kind. Aber ich muss zugeben, dass ich ein wenig trauerte, sobald sie kein Neugeborenes mehr war; dieser Übergang war mir schwergefallen. »Vielleicht könnten Ella und ich einmal vorbeischauen«, sagte ich, und als Miss Ruby nicht antwortete, ergänzte ich noch: »Oder wir finden einen Termin, zu dem Ihre Familie zu uns kommen kann. Würde Ihnen ein Mittagessen Sonntag in einer Woche passen? Oder« – ich wusste nicht genau, wann die Suttons zur Kirche gingen, das

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