Die Frau des Praesidenten - Roman
mit meiner Cynthia unseren fünfzehnten Hochzeitstag zu begehen …‹ – Glaub mir, dieser Typ konnte im College seinen Arsch nicht von seinem Ellbogen unterscheiden. Oh, das hier ist gut: ›Es erfüllt mich mit Demut, dass meine onkologische Forschung tatsächlich Leben rettet.‹ – Wir wussten doch alle, dass O’Brian ein Homo ist.« Ich liebte diese Exzerpte und Charlies Kommentare dazu nicht besonders, in erster Linie weil ich selbst lesen wollte und er mich ständig unterbrach. Wir mussten ja zu dem Jahrgangstreffen nicht hinfahren, wie ich ihm einmal deutlich zu machen versuchte, doch das brachte mir sofort eine gereizte Abfuhr ein: Natürlich mussten wir hin! Welche Null käme freiwillig auf die Idee, das Treffen zu verpassen? (So nannten die Princeton-Alumni das Ereignis, nicht Jahrgangstreffen, sondern schlicht
das Treffen
.) Es war offensichtlich, dass das Buch bei ihm einen wunden Punkt berührt hatte. In einem Familienbetrieb in der Fleischindustrie zu arbeiten mochte für Maronee gut genug sein, aber Charlie fragte sich, wie eindrucksvoll dieser Verdienst wohl im überregionalen Kontext klingen würde. Sosehr ich mich auch darum bemühte, mitfühlend auf seine Verunsicherung einzugehen, so konnte ich mich doch des Gedankens nicht erwehren, dass dies ein Problem war, um das ihn andere beneidet hätten.
In den vergangenen Wochen war Charlie immer später und später von der Arbeit gekommen und hatte nur selten angerufen, um mir zu sagen, wo er war. Manchmal stellte sich heraus, dass er im Country Club gewesen war, manchmal hatte er sich unterwegs in einer Bar ein paar Drinks genehmigt (das machte mir am meisten zu schaffen, weil es mir so schäbig vorkam – in Riley trieben sich Ehemänner und Väter in Bars herum, aber doch nicht in Maronee), und dann wieder war er direkt vom Büro zu einem Heimspiel der Brewers gefahren. Die Blackwells besaßen vier Dauerkarten, die ursprünglich Haroldgehört hatten und jetzt von Charlie und seinen Brüdern untereinander aufgeteilt wurden; oft genug blieben sie aber auch ungenutzt. Wenn ich nach so einem Spiel fragte, mit wem er hingegangen war, antwortete er einmal mit Cliff Hicken (Cliff und Kathleen, auf deren Gartenparty Charlie und ich uns kennengelernt hatten, waren drei Jahre nach uns von Madison nach Milwaukee gezogen, wo Cliff stellvertretender Geschäftsführer einer Consultingfirma geworden war), und einmal hatte ihn ein jüngerer Mitarbeiter seiner Firma begleitet, aber häufig klang es auch so, als sei Charlie allein dort gewesen. Er kam dann erst nach Hause, wenn ich ins Bett ging, und ich war gleichzeitig wütend, besorgt und viel zu müde, um einen Streit vom Zaun zu brechen. Immer wieder beschloss ich, die fällige Aussprache auf den nächsten Morgen zu verschieben, und mochte dann doch nicht den neuen Tag mit den Sorgen des Vorabends beginnen lassen. Davon abgesehen hatte ich den Eindruck, dass Charlie, auch wenn er es nie so sagte, an einem solchen Morgen meist zu verkatert war, um mehr zu bewältigen als den Weg vom Bett in die Dusche.
Es war mir durchaus in den Sinn gekommen, dass er eine Affäre haben könnte, aber ich glaubte nicht ernsthaft daran. Wir schliefen nach wie vor regelmäßig miteinander, wenn auch nicht so häufig wie zu Beginn, und er war auf seine Weise so liebevoll wie immer. Manchmal ergriff er mitten in der Nacht meine Hand und hielt sie im Schlaf; vor einer Woche war ich nachts um drei davon aufgewacht, dass er seine Füße an meinen rieb. Beim Aufstehen hatte ich ihn gefragt: »Hast du etwa mit mir gefüßelt letzte Nacht?«, und er sagte: »Lindy, jetzt tu bloß nicht so, als sei das nicht deine Lieblingsnummer.« Seine ständige schlechte Laune hatte seinen eigentlichen Charakter nicht ersetzt, sie begleitete ihn eher wie der Beiwagen eines Motorrades. Und was die Möglichkeit einer Affäre anging, schien er eher mit den Gedanken woanders zu sein, als dass er den Eindruck machte, mir etwas zu verheimlichen.
Nach der Pause ging ich zurück zu Miss Ruby in den Zuschauerraum und fragte: »Was halten Sie von dem Stück?« –»Es ist interessant«, antwortete sie zurückhaltend. Sobald nach dem Schlussapplaus das Licht anging, kamen einige Bekannte zu mir herüber. Ich stellte ihnen meine Begleiterin unter dem Namen Ruby Sutton vor, da es mir in dieser Umgebung unpassend vorgekommen wäre, sie Miss Ruby zu nennen. Sie fragten sich offensichtlich, wer sie war. Die Einzige, die sie erkannte, war eine ältere Frau
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