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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Geschäftsführer einer Bauingenieursfirma, die auf staatliche Aufträge hoffte. Howard hatte ihm im Vertrauen gesagt, Daves Firma sei weit qualifizierter als all die anderen, mit denen das Verkehrsministerium von Wisconsin bisher zusammenarbeitete. »Denkst du, sie haben uns deshalb besucht?«
    »Ganz sicher nicht«, sagte ich, obwohl ich keineswegs so sicher war. Charlie und ich saßen in der ersten Sitzreihe des Kleinbusses, der uns nach Little Chute bringen sollte. Charlie würde dort vor einer Versammlung von Milchbauern reden. Ich war mir sicher, dass uns von den anderen Businsassen keiner zuhörte: Kenny, unser Fahrer, saß allein vorn, ganz hinten tippte ein Redenschreiber namens Sean O’Fallon mit Kopfhörern auf den Ohren etwas in seinen Laptop, und in der zweiten Sitzreihe debattierten Hank und Debbie Bell, eine Wahlkampfstrategin, lautstark und hitzig darüber, ob man den Garth-Brooks-Song »Friends in Low Places«, der gerade im Autoradio zu hören war, zu Beginn von Charlies Veranstaltungen spielen sollte. Da im Refrain von den »Low Places« die Rede war, »where the wiskey drowns and the beer chases my blues away«, hielt ich diese Idee für katastrophal, und auch Hank argumentierte dagegen: Er meinte, es würde die Presse geradezu dazu einladen, herauszufinden, dass Charlie 1988 wegen Trunkenheit am Steuer eingesessen hatte – was damals noch nicht öffentlich bekannt war. Dagegen bestand Debbie darauf, dass das Lied vielen Menschen aus der Seele sprach und wunderbar zu Charlies unprätentiösem Auftreten passte, dass es die Lebensart der Bewohner von Wisconsin widerspiegelte und die Zeilen über den Alkohol daher nicht ins Gewichtfielen; außerdem war sie der Meinung, dass Charlie vielen Wählern durch seine Schwächen und Fehler nur noch sympathischer wurde.
    Charlie, der den Streit über Garth Brooks nicht weiter beachtete, klang eher melancholisch als verärgert, als er fortfuhr: »So sieht es von jetzt an eben aus, schätze ich. Wir bitten alle, die wir kennen, um Geld, und uns bitten alle um Gefälligkeiten.« Er lachte leise, aber freudlos, »Ich bin eine Edelhure.«
    »Wenn du es so siehst, verstehe ich nicht, warum du kandidierst«, sagte ich. »Ein Gouverneur kann viel Gutes bewirken, und nebenbei bemerkt ist
Edelhure
ein Oxymoron.«
    »Hey, Moment mal, Moment.« Charlie grinste, diesmal aber von Herzen. »Hast du mich da gerade ein Oxymoron genannt?«
    »Ich meine es ernst«, sagte ich. »Wenn du gewählt wirst, und danach sieht es ja aus« – das war nicht nur eine optimistische Annahme von mir, denn seine Umfragewerte lagen bei fast sechzig Prozent –, »dann hast du die Möglichkeit, die Lebensumstände sehr vieler Menschen zu verbessern. Ist das nicht der Grund, aus dem du angetreten bist?«
    So viele Jahre später finde ich die Frage, warum Charlie als Gouverneur oder als Präsident kandidiert hat, müßig. Unser Leben ist nun mal so verlaufen. Aber damals erschien sie mir wichtig, wie ein sehr bedeutsames Rätsel, das ich lösen würde, wenn ich nur genug darüber nachdachte. Vielleicht glaubte ich, ich könnte mich, wenn ich erst einmal begriff, was Charlie dazu antrieb, mit seiner Entscheidung endlich anfreunden. »Weil er sich dazu berufen fühlt, Menschen zu führen«, diktierte Hank den Journalisten in ihr Notizbuch. Charlie selbst weigerte sich, die Frage ernsthaft zu beantworten: »Aus demselben Grund, aus dem Hunde sich die Eier lecken«, sagte er. »Weil ich es kann!« Weil er beweisen wollte, dass er genauso intelligent und ehrgeizig war wie seine Brüder, spekulierte die Presse, oder weil er die Schmach der Niederlage seines Vaters im Präsidentschaftswahlkampf 1968 tilgen wollte. Keine dieser Vermutungen ließ Charlie besonders gut dastehen, aber sie waren immer noch schmeichelhafter als meine eigene Theorie,die ich niemandem je anvertraut habe: dass er es wegen seiner Angst im Dunkeln tat. Als Gouverneur und später als Präsident würde er immer von Sicherheitskräften begleitet werden. Es wäre immer jemand in Rufweite, dessen ausschließliche Aufgabe es war, auf ihn aufzupassen, und vielleicht würde man versuchen, ihn zu ermorden, aber er würde jedenfalls nie wieder allein einen dunklen Flur entlanggehen müssen. (Vor einem Attentat habe ich offenbar viel größere Angst als er selbst. Bevor er offiziell als Präsidentschaftskandidat in Erscheinung trat, fühlte ich mich verpflichtet, ihm die mit Schuldgefühlen durchsetzte Erleichterung zu beichten, die ich

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