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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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empfunden hatte, als Kennedy erschossen wurde. Wäre es nicht, so fragte ich ihn, die einzig gerechte Strafe für solche Gedanken, wenn mein eigener Ehemann Präsident würde und dann auf ähnliche Weise sterben müsste? Ohne eine Sekunde zu zögern, antwortete Charlie: »Du weißt aber, dass das Blödsinn ist, oder? Solchen Hokuspokus können sich nur wirrköpfige Schulmädchen ausdenken.«)
    Tatsächlich trugen zu Charlies Entschluss, zu kandidieren, wahrscheinlich eine ganze Reihe von Faktoren bei, zu denen auch sein Ego gehörte. Er wollte sich wirklich in den Dienst der Allgemeinheit stellen, wie er es nannte, fragte sich wirklich: »Warum eigentlich nicht?«, wollte sich wirklich seiner Familie gegenüber beweisen und der Welt zeigen, wie großartig seine Familie war, und er freute sich wirklich auf die Privilegien, die ihm das Amt einbringen würde. Diese Gründe mögen nicht besonders rühmlich sein, aber das stört mich nicht. Sie haben mich zwar nie davon überzeugen können, dass es klug von Charlie war, eine politische Karriere anzustreben, aber ich nehme auch nicht an, dass irgendjemand sonst edlere Motive hat.
    Bei seiner ersten Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2000 bewarb sich Charlie als »Toleranter Traditionalist«, mit einer Alliteration, die ihre Entstehung Debbie Bell verdankte. Es war schon ironisch, dass Charlies Selbstinszenierung als Freund der Armen und Ausgeschlossenen und seine Glaubwürdigkeit für die eher linksgerichteten Wähler nicht nur durch sein gemäßigtesProfil als Gouverneur gestützt wurden, sondern auch durch eine schon lange vor seiner Kandidatur begonnene Serie von Spenden an wohltätige Organisationen wie Armenküchen, Jugendzentren, Frauenhäuser und AIDS-Kliniken. Das waren natürlich die bescheidenen Beiträge, die ich damals heimlich gemacht hatte, und als unsere Finanzunterlagen zum ersten Mal geprüft wurden und mein Doppelspiel ans Licht kam, waren sowohl Charlie als auch Hank hellauf begeistert. »Gott segne deine raffinierten liberalen Machenschaften!«, rief Charlie aus.
    Ebenso ironisch war an Charlies Tolerantem Traditionalismus, dass sich die Toleranz offenbar nicht auf Fragen der Sexualität erstreckte, während ich nie Zweifel daran hatte, dass Debbie Bell lesbisch war. Ich weiß nicht, ob sie romantische Beziehungen hatte – sie erzählte jedenfalls nichts dergleichen und war nicht verheiratet –, aber sie pflegte einen eher kameradschaftlichen Umgang mit Männern und verhielt sich Frauen gegenüber kokett. Sie war groß und hatte kurzes blondes Haar, und selbst wenn sie einmal keinen Hosenanzug trug, wirkte ihre Körperhaltung, als täte sie es. Aus all ihren Äußerungen, ihrer Stimme und ihrer Haltung sprach ein forsches, sportliches Selbstvertrauen, das bei heterosexuellen Frauen leider selten zu finden ist. Gerade bei den wenigen Gelegenheiten, an denen sie Bemerkungen über besonders gutaussehende Männer machte oder sich darüber beklagte, nicht verheiratet zu sein, kam sie mir besonders eindeutig homosexuell vor, denn diese Kommentare wirkten aufgesetzt und wenig überzeugend. Ich habe mit Jadey und später auch mit Jessica über dieses Thema gesprochen, und sie gaben mir beide recht, aber Charlie gegenüber habe ich es nie erwähnt, weil ich fürchtete, er könnte sich davon irritieren lassen und sich Debbie gegenüber merkwürdig verhalten – sie offen damit aufziehen oder hinter ihrem Rücken Witze darüber reißen. Es überraschte mich, dass Charlie ihre rätselhafte sexuelle Identität nicht von sich aus bemerkte, aber vielleicht beglückte es ihn so sehr, wie bedingungslos sie ihm ergeben war, dass er es nicht wagte, ihre Motive zu hinterfragen – es hätte ja etwas psychologischFragwürdiges dahinter stehen können. Mir kam es jedenfalls so vor, als würde Debbie ihren ganzen Vorrat an Liebe, der sonst meist einem Partner oder den Kindern vorbehalten bleibt, an Charlie verausgaben. (Mehr als einmal hatte ich den Drang, sie zur Seite zu nehmen und ihr zuzuflüstern:
Du hast mehr verdient als diesen Ersatz; auch du solltest wahre Gefühle erleben und nicht nur das, was bei meinem Mann für dich abfällt.
Ich muss wohl nicht dazusagen, dass ich mich zurückgehalten habe und stattdessen hoffte, dass sie ein Privatleben hat, von dem wir nichts ahnen.)
    Debbie hatte eine Zeitlang als Pressesprecherin bei den Brewers gearbeitet – sie war als ehemals sehr erfolgreiche Softballspielerin an der University of Wisconsin genauso ein

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