Die Frau des Praesidenten - Roman
Esszimmer, in dem sie sich nach dem Essen normalerweise nie lange aufhielten, und erst in diesem Moment verstand ich, was hier vor sich ging: In einem kurzärmeligen karierten Hemd und an einer Kaffeetasse nippend, die in der Hand eines derart beleibten Mannes geradezu zerbrechlich wirkte, saß dort am Esstisch Lars Enderstraisse. Ich konnte die hämische Verzückung meiner Großmutter spüren, ohne sie anzusehen; gleichzeitig spürte ich die Aufregung und das Unbehagen meiner Mutter. »Liebling, du erinnerst dich bestimmt noch an Mr. Enderstraisse«, sagte sie. »Lars, du kennst ja Alice, meine Tochter, und das ist ihr Freund … Wie war doch gleich ihr Nachname, Charlie?«
»Blackwell«, sagte ich schnell.
»Ich bitte Sie, nennen Sie mich Lars«, sagte Mr. Enderstraisse.
Charlie und ich setzten uns auf zwei Plätze, vor denen keine Platzsets oder Teller standen. »Möchtet ihr etwas Schinken?«, fragte meine Mutter, und ich antwortete: »Wir haben schon gegessen. Entschuldige, dass wir nicht vorher angerufen haben, aber wir waren gerade in Houghton.« Inzwischen bereute ich unseren Überraschungsbesuch. Wieder entstand eine Pause, und meine Mutter sagte: »Dann bringe ich euch wenigstens was zu trinken.«
»Oh, das ist nicht nötig«, gab ich sofort zurück, und Charlie sagte: »Ich nehme ein Bier, wenn Sie eins haben.«
»Ich helfe dir.« Ich stand auf. »Noch jemand ein Bier?«
»Lars hat es mit dem Magen und verträgt daher kein Bier«, verkündete meine Großmutter gebieterisch. Ich war wahrscheinlich die Einzige, die ihre außerordentliche Selbstzufriedenheit bemerkte.
»Blähungen und dergleichen«, bestätigte Mr. Enderstraisse – Lars. Er klang freundlich, und ich fragte mich, ob er sich tatsächlich mit meiner Mutter traf? Ich hatte ihn nie zuvor ohne seine Postuniform gesehen.
»Alice, setz dich hin«, sagte meine Mutter, was ich verunsichert tat.
»Alice, ich wette, du hast noch nichts von dem Einbruch bei den Schlingheydes gehört.« Meine Großmutter hatte sich nun Charlie und mir zugewandt. »Es ist
das
Thema in der Nachbarschaft. Don und Shirley haben die gesamte Zeit über geschlafen, am Morgen haben sie dann das eingeschlagene Küchenfenster entdeckt, und der Fernseher mitsamt Shirleys Silber war weg. Das Skurrile an der Geschichte ist, dass auf dem Abtropfbrett ein halbes, angebissenes Truthahnsandwich gefunden wurde. Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand derart die Ruhe weg hat, sich einen Imbiss zuzubereiten, während er gerade ein Haus ausräumt? Er hat das Brot sogar mit Mayonnaise bestrichen.«
»Wann war das?«
Über die Schulter hinweg rief meine Großmutter in Richtung Küche: »Dorothy, war es Samstagnacht?«
»Montag«, sagte meine Mutter, als sie mit Charlies Bier in der Hand aus der Küche kam. »Für mich klingt das nach einer sehr gestörten Person.«
Sie reichte Charlie das Bier, der leutselig zu erzählen begann: »In den Sechzigern wurden einmal Freunde von uns ausgeraubt, und der Dieb hat einen Schuh zurückgelassen.« Charlie hatte natürlich keine Ahnung, wie ungewöhnlich Lars Enderstraisses Anwesenheit war.
»Ich hoffe, ihr schließt immer gut ab«, sagte ich.
»Oh, die Polizei von Riley wird den Burschen in null Komma nichts schnappen«, sagte meine Großmutter fröhlich. »Wenn es Sheriff Culver gelingt, sich länger als eine Stunde aus Grady’s Tavern loszureißen, hat der Einbrecher keine Chance.« Übergangslos wandte sich meine Großmutter Charlie zu. »Nun, womit genau haben Sie sich einen Besuch in Alices Heimat verdient?«
»Ich habe ihr Herz erobert.« Charlie grinste, und ich fragte mich nervös, ob er und meine Großmutter sich mögen würden. Sie waren zwar beide sehr temperamentvoll, aber ich war mir nicht sicher, ob sie die gleiche Art Temperament besaßen, und manchmal waren unterschiedliche Arten einer ähnlichen Veranlagung schlimmer als gänzliche Verschiedenheit. Unter dem Tisch nahm Charlie meine Hand.
»Sind Sie auch Lehrer, Charlie?«, fragte meine Mutter.
»Nein, Ma’am, ich bin in der Fleischindustrie.« Charlie drückte meine Hand, und ich fragte mich, ob er meine Anspannung bemerkte. »Ich springe zwischen Houghton, Madison und Milwaukee hin und her.«
Ging Charlie davon aus, dass ich ihnen erzählt hatte, wer seine Familie war? Da ich das nicht getan hatte, war es nun wahrscheinlich an der Zeit, das nachzuholen, bevor sich meine Unaufrichtigkeit in eine glatte Lüge zu verwandeln drohte.
Meine Großmutter nahm eine
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