Die Frau des Praesidenten - Roman
die Stirn. »Aber sie ist nagelneu.«
Als wir nackt auf dem Sofa gelegen hatten, hatte er mich gestreichelt, bis sich die Anspannung in meinem Inneren warm und schnell entladen hatte, und dann war er in mich eingetaucht, und nachdem wir fertig waren, blieben wir noch eine Weile liegen, ließen den Schweiß auf unserer Haut trocknen, und ich sagte: »Der arme Hank Ucker wird eines Tages auf diesem Sofa sitzen und keine Ahnung haben, was hier passiert ist«, und Charlie sagte: »Nichts würde Ucks besser gefallen. Wenn allerdings meine Mutter hier Platz nimmt …«
»Nicht einmal denken solltest du das. Das ist so was von peinlich.«
»Du musst meine Eltern so bald wie möglich kennenlernen«, sagte er. »Momentan sind sie in Seattle, aber am Labor Day treffen sich alle in Halcyon, oben in Door County. Oh, und dann Weihnachten, Weihnachten musst du dabei sein. Majs Gans ist legendär. Der Trick besteht darin, sie mit Ginger Ale zu begießen.«
Ich hatte den Eindruck, dass Charlies Eltern mehr Zeit auf Reisen verbrachten als zu Hause. Eigentlich lebten sie in Milwaukee, doch sie fuhren nach Denver oder Boston, um Freunde zu besuchen, hielten sich in Door County auf (anscheinend besaßen sie noch ein weiteres, drittes Haus in Sea Island, Georgia), flogen für einen Vortrag, den Harold Blackwell an einer Universität hielt, nach Virginia oder zu einer Konferenz nach Oklahoma City, wo er eine Grundsatzrede hielt. Es klang anstrengend, auch wenn ich selbst zugegebenermaßen erst zweimal geflogen war: Mit zwanzig war ich zusammen mit meinenEltern und meiner Großmutter nach Washington D. C. gereist, und während meine Mutter und Großmutter den Fahrstuhl genommen hatten, waren mein Vater und ich zu Fuß die 897 Stufen des Washington Monument hinaufgestiegen; mit sechsundzwanzig, bevor ich anfing, Geld für ein Haus zu sparen, hatte ich in den Frühjahrsferien mit Rita Alwin eine Reise nach London gemacht, wo wir mit einem Doppeldeckerbus fuhren und uns
Der Kaufmann von Venedig
und
Die Mausefalle
im Theater ansahen. Charlie hingegen war schon unzählige Male verreist. Wenn im Laufe eines Gesprächs ein Ort oder eine Stadt erwähnt wurde, ließ er ganz beiläufig, als käme er gar nicht auf die Idee, andere damit beeindrucken oder irritieren zu können, eine Bemerkung fallen, dass er schon einmal dort gewesen war: Honolulu, Charleston, Palm Springs, Martha’s Vineyard, Dallas, Nashville, New Orleans. Baltimore bezeichnete er als »dreckig«, Portland, Oregon als »verschlafen«.
»Mein Bruder Arthur ahnt bereits, dass da was im Busch ist«, sagte Charlie. »Seit Wochen will er mir ein Mädchen vorstellen, und neulich hab ich ihm gesagt, dass er’s vergessen soll, was, sagen wir mal« – er grinste –, »eher untypisch für mich ist.« Von seinen drei Brüdern schien Arthur Charlie, sowohl was das Alter als auch das Freundschaftliche anbetraf, am nächsten zu stehen. Bis auf Charlie waren sie alle verheiratet. »Du würdest doch nein sagen, wenn ein Kerl mit dir ausgehen wollen würde, oder?«, fragte er.
»Natürlich, Charlie. Ich gehe nicht einfach so mit jemandem ins Bett.«
»Nein, das hab ich mir auch gedacht. Wollte nur sichergehen, dass wir uns da einig sind.«
»Weißt du was,
meine
Familie wohnt gar nicht weit weg von hier«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir morgen mal bei ihnen vorbeischauen.«
»Du glaubst also, ich könnte den Ansprüchen der Lindgren-Damen genügen?«
»Wenn du dich anständig benimmst.«
Charlie lachte. »Ich sollte deiner Großmutter also besser keinen Charlie-Spezialwitz erzählen?«
Inzwischen war es halb sieben, und wir standen auf, zogen uns an und machten Abendessen. Wir hatten im Scorilio’s, Houghtons einzigem Kaufhaus, Teller, Besteck, Töpfe und Pfannen besorgt – ich bestand darauf, sie ebenfalls alle vor Gebrauch zu spülen – und auf dem Rückweg im Lebensmittelgeschäft Spaghetti, Marinara-Soße und Brot gekauft, wo Charlie mir zugeflüstert hatte: »Na, meinst du, die Leute schauen dich an und denken sich, was für ein verdorbenes Stück du doch bist, weil du bei deinem Freund übernachtest?« Zurück in der Wohnung, überkam mich ein wohliges Gefühl; wir holten den Radiowecker aus dem Schlafzimmer, stellten einen Jazzsender ein, begannen zu kochen, und inmitten von all dem nahm wie von selbst ein Gedanke Gestalt an, der mir schon früher mehr als einmal, bislang jedoch nie klar umrissen, gekommen war: die annähernde Gewissheit, dass dem Kuss, den ich vor all
Weitere Kostenlose Bücher