Die Frau des Seiltaenzers
Unschickliches von sich gegeben, etwas, das gegen seine Ehre ging. Dann meinte er kurz angebunden: »Nein, davon habe ich nie gehört.«
»Und Doktor Faust hat auch noch nicht danach gefragt?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber Ihr könnt die Papierfetzen kontrollieren, mit denen Faust seine Bücher bestellt hat. Ich habe alle aufbewahrt. Jetzt muss ich an meine Arbeit gehen – wenn Ihr mich entschuldigen wollt!«
Auf den Zetteln des Schwarzkünstlers waren in der Hauptsache Bücher alchimistischen Inhalts vermerkt. Für den heutigen Tag hatte Faust jedoch ein Buch bestellt, welches in kein Schema passte: ›Der Flusslauf des Mayns‹.
Aus sicherer Entfernung beobachtete Magdalena den rätselhaften Magister. Mit leidendem Gesichtsausdruck beugte er sich über sein Stehpult und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vonder Stirn. Seine Haltung verriet, dass er keinen Text las. Starr hatten sich seine Augen in eine bestimmte Stelle des Buches gebohrt. Er dachte nach.
Bisher war es Magdalena gelungen, dem lesehungrigen Magister auszuweichen, ihm nicht von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Nicht auszudenken, wenn er sie erkannte. Allzu gut erinnerte sie sich an seine Worte: Es gibt Menschen, die sind bereit zu töten, um in den Besitz eines der ›Bücher der Weisheit‹ zu gelangen.
Der geheimnisvolle Schwarzkünstler kannte Magdalena nur mit einer Haube auf dem Kopf. Im Übrigen war es stockfinstere Nacht gewesen, als sie sich an der Weggabelung bei Miltenberg begegnet waren. Jetzt trug sie ihr kurzes Haar offen ohne Haube. Die Gefahr, dass er sie auf den ersten Blick wiedererkannte, war gering. Und schon gar nicht konnte Doktor Faust damit rechnen, ihr, der Buhle des Großen Rudolfo, in der Klosterbibliothek von Eberbach zu begegnen. Andererseits: Wer wusste schon, wie oft er sie vielleicht heimlich des Tages bei den Gauklern beobachtet hatte? Sie hatte Angst vor dem Magier, der einerseits so viel wusste, sogar die Geheimformel der Neun Unsichtbaren, andererseits aber Unsummen Geldes bot für die geheimen Bücher.
All diese Umstände trieben Magdalena an, diesen Doktor Faust im Auge zu behalten. Sie musste mehr über den mysteriösen Schwarzkünstler und seine Motive in Erfahrung bringen.
Weil Wendelin Schweinehirt ihr seit ihrem Gespräch zurückhaltend, um nicht zu sagen mit einem gewissen Misstrauen begegnete, schlich sich Magdalena in der folgenden Nacht alleine und heimlich in die Bibliothek. Es war um die Zeit der Matutine, denn aus der Klosterkirche wehte der Singsang der Mönche herüber. Anhand der Bücherzettel und dem Inhalt der Bücher, mit denen sich der Schwarzkünstler beschäftigte, hoffte Magdalena Licht ins Dunkel der Motive zu bringen, die Doktor Faust dazu antrieben, Tage und Wochen in den Gewölben der Bibliothek zu verbringen. Dazu blieb ihr nur die Zeit zwischen Matutine und den Laudes. Im Schutz derDunkelheit, ohne eine Laterne, musste sie vom Laientrakt hinüber zur Bibliothek schleichen und dort das erste Morgenlicht abwarten, das ihr das Lesen erlaubte. Bis zur Prima, dem Morgengebet, mit dem das Klosterleben erwachte, blieb gerade einmal eine Stunde, um sich in die Codices und Folianten zu vertiefen.
Mehrere Nächte verbrachte Magdalena auf diese Weise in der Bibliothek auf der Suche nach einem Anhaltspunkt für Fausts Nachforschungen. Vieles von dem, was sie im Zwielicht mit den Augen verschlang, verflüchtigte sich noch am selben Tag. Anderes blieb in ihrem Gedächtnis haften oder verwirrte sie, nachdem sie es gelesen hatte, nachhaltig. In ihrem Kopf schwirrten Begriffe umher wie Chronokratorien und Transmutationen, Ponderation und Digestion, Chemiatrie und Nigromantie, Krötenstein und Hexensalbe, Hylech und Asoth, Losbücher und Notarika – Begriffe, von denen sie noch nie gehört hatte oder deren Bedeutung ihr fremd war wie das ferne Indien. Dazu Namen, immer wieder Namen, aus Eitelkeit latinisiert oder als Pseudonym, um sich dahinter zu verstecken.
Nach einer Woche schlafloser Nächte fasste Magdalena den Entschluss, ihre Nachforschungen einzustellen und sich nur noch der Archivierung der Bibliothek zu widmen. In der Gewissheit, die meisten Bücher in Händen gehalten zu haben, deren Doktor Faust sich bediente – an eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt war nicht zu denken –, begab sich Magdalena ein letztes Mal zu nachtschlafender Zeit in die Bibliothek, um die letzten zwei Bücherzettel abzuarbeiten. Wie schon die Nächte zuvor, gebrauchte sie kein Licht, das sie
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