Die Frau des Seiltaenzers
allzu leicht verraten hätte.
Als sie vorsichtig die Türe öffnete, erschrak Magdalena: Im hinteren Teil der Bibliothek, dort, wo der Schwarzkünstler für gewöhnlich seiner Arbeit nachging, flackerte eine Kerze. Faust hatte wohl vergessen, das Licht zu löschen. Nicht auszudenken, was hätte geschehen können, wäre die Kerze niedergebrannt.
Im Näherkommen hielt Magdalena inne. Ihr stockte der Atem. Am Lesepult saß, vornübergebeugt, Doktor Faust. Sein Kopf lag,zur Seite gewandt, auf der Tischplatte. Die Arme hingen schlaff herab. Er ist tot, schoss es Magdalena durch den Kopf.
Sie wollte schreien, weglaufen. Aber der unerwartete Anblick schnürte ihr die Kehle zu und lähmte ihre Glieder. Ungläubig starrte sie auf das zaghafte Flämmchen, das sich im regelmäßigen Rhythmus wie ein Uhrwerk bewegte. Faust war nicht tot. Er musste über dem Lesen eingeschlafen sein, und sein regelmäßiger Atem verursachte das Flackern der Kerze.
Der Schwarzkünstler schlief so fest, dass Magdalena keine Bedenken hatte, näher zu treten. Das aufgeschlagene, querformatige Buch ›Der Flusslauf des Mayns‹ diente ihm als Kissen. Eine kunstvoll gezeichnete Landkarte zeigte den Flusslauf von seinem Ursprung in den Bergen bis zu seiner Mündung in den Rhein, den Zusammenfluss mit Baunach und Regnitz bei Bamberg, das charakteristische Maindreieck mit der Stadt Würzburg und das nicht weniger markante Mainviereck. Was in aller Welt verleitete den Magier Doktor Faust zum nächtelangen Studium dieser Karte, dass er darüber einschlief?
Je länger Magdalena das Kartenwerk betrachtete, die eingezeichneten Ortschaften, Schlösser und Klöster – auch Seligenpforten hatte mit einem roten Punkt Eingang darin gefunden –, desto mehr kam sie zu der Einsicht, dass sie sich in etwas verrannt hatte. Nicht jedes Buch, in das sich Doktor Faust vertiefte, hatte zwangsläufig etwas mit der Suche nach den ›Büchern der Weisheit‹ zu tun. Vermutlich forschte der Schwarzkünstler nur nach dem kürzesten Weg in eine andere Stadt.
Magdalena war gerade dabei, die Spitzen von Daumen und Zeigefinger mit Spucke zu benetzen, um die Kerze zu löschen und Faust schlafend seinem Schicksal zu überlassen, da machte sie eine unglaubliche Entdeckung: Der Verlauf des Flusses entsprach genau der Linienführung der dreischwänzigen Schlange, die auf Rudolfos Rumpf tätowiert war. Das Viereck, das Dreieck und die drei Schwanzenden der Schlange – Magdalena hatte sie genau im Kopf.
Ohne einen Gedanken daran, dass der Magier aufwachen könnte, versuchte Magdalena, das aufgeschlagene Buch unter seinem Kopf wegzuziehen, da schnappte Fausts Rechte nach ihrem Handgelenk und umschloss es wie der Fangarm eines Krakens.
15. KAPITEL
I m Schlafgemach Albrechts von Brandenburg kniete Leys, die Buhle Seiner kurfürstlichen Gnaden, nein, nicht vor dem schmucken Hausaltar, sondern über dem Gemächt des Kardinals, was diesem wohlige Schauer und schon am frühen Morgen unflätige Worte entlockte: »Du meine geile Madonna!« – »Oh, meine reife Traube aus dem Weinberg des Herrn!« – »Meine Maria Magdalena, ich vögle dich um den Verstand.«
Das Verhältnis des Fürstbischofs mit seiner Buhle Elisabeth Schütz, die er – Gott weiß warum – Leys nannte, währte schon eine halbe Ewigkeit, was zweifellos an deren Liebeskünsten lag und der unübersehbaren Tatsache, dass das Alter an der Vierzigjährigen nahezu spurlos vorübergegangen war.
Für jeden fürstbischöflichen Beischlaf pflegte Albrecht seine Buhle mit einer kostbaren Perle zu entlohnen, welche er dem Skelett einer Katakombenheiligen entnahm, das er vor Jahren als das der heiligen Genovefa erworben hatte. Doch dann musste Seine kurfürstliche Gnaden erfahren, dass von der perlengeschmückten Märtyrerin mindestens ein halbes Dutzend Skelette in Umlauf waren, und er hatte die Lust an der vermeintlichen Genovefa verloren.
Auch an diesem Morgen reichte Albrecht von Brandenburg Leys eine Perle als Liebeslohn, die von ihr dankbar in ein Kästchen gelegt wurde, zu einem Dutzend anderer gleicher Herkunft. (Für eine Halskette bedurfte es hundert Perlen – für ein Perlenarmband waren deren fünfundzwanzig vonnöten).
Während Leys vor einem Silberspiegel ihr Haar kämmte, wurde sie wohlgefällig von Albrecht beobachtet.
»Du wirkst irgendwie bedrückt«, bemerkte der Kardinal, in einem weißen, mit purpurfarbenen Borten versehenen Schlafrock auf dem bischöflichen Bett liegend.
»Ach, Euer kurfürstliche
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