Die Frau des Seiltaenzers
erwiderte Kirchner. »Ich würde sagen, eine Drohung. Vielleicht kennt er Rudolfos Mörder!«
Verstört blickte Albrecht von Brandenburg Kirchner von der Seite an: »Was soll das heißen? So rede schon!«
»Nichts, Euer kurfürstliche Gnaden! Aber die Tatsache, dass ein Gaukler außerhalb von Recht und Gesetz lebt, bedeutet nicht, dass man nicht den Mörder eines Gauklers ausforschen darf. Oder sehe ich das falsch?«
Der Fürstbischof dachte nach.
»Der Abgesandte des reichen Fuggers!«, rief er plötzlich und deutete aufgeregt nach unten. In der Tat, Matthäus Schwarz hatte sich hinter dem Mainzer Bürgermeister und seinen Räten in den Trauerzug eingereiht, wie immer in geckenhafter Kleidung und mit einem hellblauen, samtenen Umhang.
»Das ist eine Verschwörung!«, erregte sich Albrecht von Brandenburg. »Eine Verschwörung ist das! Ich bin sicher, wenn ich dereinst meinen letzten Weg gehe, werden mir nicht halb so viele Trauernde die letzte Ehre erweisen.«
»Sagt so etwas nicht, Euer kurfürstliche Gnaden«, versuchte Kirchner den Kardinal zu beschwichtigen. »Eure Zeit ist noch lange nicht gekommen, und wenn es dem Herrn gefallen sollte, werden Euch noch weit mehr das letzte Geleit geben.« Plötzlich hielt Kirchner inne.
Er blickte den Fürstbischof von der Seite an, ob dieser die würdigen Männer erkannte, die in zwei Reihen, zu viert nebeneinander, nun unter ihnen vorüberschritten.
»Das ist doch –«, stammelte Albrecht von Brandenburg, »das ist doch …«
»Erasmus von Rotterdam.«
»Und der Bärtige neben ihm?«
»Tut mir leid, den kenne ich nicht. Aber der neben ihm scheint mir nicht unbekannt.«
»Nikolaus Kopernikus, der Astronom, der auf den preußischen Landtagen als Deputierter von Ermland auftritt. Ich kenne ihn«, bemerkte der Kurfürst in einer Mischung aus Stolz und Verachtung. »Und wenn ich nicht irre, ist der Mann mit dem schütteren Haar und dem päpstlichen Gehabe neben ihm ein Günstling der Medici mit Namen Niccolo Machiavelli. Kirchner, kneif mich in die Seite …«
»Die Männer in der zweiten Reihe sind Agrippa von Nettesheim, der Wunderdoktor Paracelsus, der Zukunftsdeuter Nostradamus, und den anderen kennt Ihr wohl besser als ich!«
»Grünewald, der Maler Matthias Grünewald, der Hungerleider, den ich zehn Jahre an meiner Brust nährte, den ich drei Altarblätter für den Mainzer Dom malen ließ und der sich bei mir einschmeichelte, indem er mich überlebensgroß in der Gestalt des heiligen Erasmus malte, dem Nothelfer gegen Bauchschmerzen. Ich habe ihn doch aus der Stadt gewiesen, und jetzt ist er schon wieder da! Grünewald soll noch heute aus Mainz verschwinden. Sage ihm das. Ich will ihn nie mehr sehen!«
Der Privatsekretär musterte den Kardinal mit prüfendem Blick: »Aber wenn der Maler Grünewald einer von den Neun Unsichtbaren wäre?«
»Der, ausgerechnet der?«
»Denkt an den Seiltänzer, Euer kurfürstliche Gnaden! Einem Gaukler würde man noch weniger zutrauen, einer der Neun zu sein.«
»Gemach, Kirchner, gemach! Noch fehlt jeder Beweis für deine Behauptung. Vielleicht haben wir uns da in etwas verrannt, und die erlauchten Männer dort unten treffen sich zu einem wissenschaftlichen Symposium und diskutieren über den Lauf der Gestirne oder ob die Erde weder eine Scheibe noch eine Kugel, sondern eine Schüssel ist.«
Der Sekretär verzog das Gesicht und antwortete: »Und da haben die erlauchten Männer nichts Besseres zu tun, als am Leichenzug eines Seiltänzers teilzunehmen?«
»Da hast du allerdings recht«, erwiderte Albrecht. »Die Einzige, die uns darüber Auskunft geben könnte, ist die Frau des Seiltänzers, und die hat sich über Nacht scheinbar in Luft aufgelöst.«
»Das könnte man beinahe glauben. Ich habe alle Torwächter befragt, ob ein einzelnes Weib bei Nacht die Stadt verlassen habe, aber ich erntete überall nur Kopfschütteln und Schulterzucken.«
»Aber die Gaukler, sie müssen doch wissen, wohin sich diese Magdalena abgesetzt hat!« Hinter einer Säule des Umgangs verborgen, spähte der Fürstbischof in die Tiefe. Von unten schallten plötzlich Pfiffe, Buhrufe und Schimpfwörter übelster Art herauf. In der Annahme, die Menge habe ihn in luftiger Höhe entdeckt, wich Albrecht zurück. Verunsichert starrte er Kirchner an.
Der deutete nach unten, wo sich die Dominikaner der Inquisition dem Leichenzug angeschlossen hatten. Sie trugen zu ihrem schwarz-weißen Habit violette Handschuhe als Zeichen ihrer Strafgewalt. Auch wenn
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