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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Adelsgeschlecht der Borgia auch wieder nicht, dass er sich das alles aus eigenen Mitteln erkaufen konnte. Aber woher kam sein plötzlicher Reichtum? – Bisher fehlt der letzte Beweis; aber die Behauptung ist nicht aus der Luft gegriffen, dass der listige, skrupellose und der Unzucht verfallene Alexander VI. einem der Neun Unsichtbaren sein Geheimnis unter Folter entlockte.«
    »Der arme, beklagenswerte Savonarola!«, rief Kirchner und blickte zum Himmel.
    »Ja, Savonarola, der Dominikaner aus Ferrara! Aber woher wusstest du …«
    »Nun ja, Euer kurfürstliche Gnaden, auch ich habe Ohren, um zu hören. Und das Gerücht, Savonarola sei von Papst Alexander unter Folter erpresst worden, um an sein geheimes Wissen zu gelangen, ist nicht neu. Auch wenn er alle Aussagen widerrief, Savonarola endete auf dem Scheiterhaufen …«
    »… und die Akten über die Befragungen«, fiel Albrecht seinem Sekretär ins Wort, »wurden allesamt gefälscht. Kirchner, ich frage dich, warum wohl?«
    »Vielleicht verriet der Bußprediger, während sie ihm glühende Eisen in den Leib bohrten, das geheime Rezept zur Herstellung von Gold! Das würde den plötzlichen Reichtum des Borgia-Papstes erklären.«
    Albrecht von Brandenburg verschränkte die Arme vor der Brust und nickte mit einem wissenden Lächeln.
    Inzwischen war es auf dem Liebfrauenplatz tief unter ihnen deutlich leerer geworden.
    »Und Ihr wollt Euch wirklich nicht dem Trauerzug des Großen Rudolfo anschließen?«, erkundigte sich Kirchner verunsichert.
    »Das klingt beinahe vorwurfsvoll«, erwiderte der Kardinal in mahnendem Tonfall. »Was habe ich mit dem Gaukler zu schaffen? Auch wenn er einer der Neun Unsichtbaren gewesen sein sollte, er wird mir sein Geheimnis nicht mehr verraten.«

16. KAPITEL
    J e mehr Zeit seit dem Tod des Großen Rudolfo verstrich, desto argwöhnischer stand Magdalena ihrer Liebschaft mit dem Seiltänzer gegenüber. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie für Rudolfo mehr als nur ein Abenteuer gewesen war. Eine Novizin, aus einem Kloster entlaufen und im Umgang mit Männern gänzlich unerfahren, ist allzu leichtgläubig, wenn ihr ein Mann zum ersten Mal die erregenden Worte zuflüstert: Ich liebe dich.
    Hatte Rudolfo sie wirklich so bedingungslos geliebt, wie er behauptet hatte? Oder war sie nur eine Gauklerliebe gewesen, eine von vielen, die man dem Seiltänzer nachsagte? Natürlich hatte sie die Tage mit Rudolfo genossen, so wie sie nur eine Jungfer genießen kann, die sich zum ersten Male einem Mann hingibt. Aber war diese Hingabe das, was man als Liebe bezeichnet?
    Im Laufe der Zeit begann Magdalena ihr Äußeres zu vernachlässigen. Sie ließ sogar ihre kostbaren Kleider am Rechen hängen und griff auf ihr altes, zerschlissenes Gewand zurück, das sie bei ihrer Flucht aus Seligenpforten getragen hatte.
    Dabei machte sie eines Tages eine überraschende Entdeckung. Sie schien ihr zunächst ohne Bedeutung; aber je mehr sie über ihre Gefühle für Rudolfo nachdachte, desto mehr Gewicht bekam sie. Zwischen den Nähten ihres bodenlangen Kleides ertastete sie ein kaum fingerlanges Etwas, gerade an jener Stelle, an der sie die eingenähte Goldmünze entdeckt hatte, die ihr und den Gauklern in schlechten Tagen so hilfreich gewesen war.
    Magdalena hätte schwören können, dass dieses Etwas nicht von Anfang an in ihren Röcken versteckt war: eine unförmige Wurzel in Menschengestalt, ein bräunlicher Homunculus, zweifelsfrei weiblichen Geschlechts, über der Brust mit einem Faden und an Armen und Beinen mit langen, rötlichen Haaren umwickelt. Je länger sie die winzige Figur, die einen süßlichen Duft verströmte, betrachtete, desto mehr erkannte sich Magdalena in ihr wieder.
    Des Nachts, nach kurzem Schlaf, wachte sie auf und konnte nicht mehr einschlafen vor lauter abwegigen Gedanken. Deshalb beschloss sie am Morgen, sich Wendelin Schweinehirt anzuvertrauen, ob er eine Erklärung für das abstruse Amulett fände.
    Schweinehirt kam ihr mit der Frage zuvor, ob sie Doktor Faust gesehen habe, der seit dem gestrigen Tage verschwunden sei, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Magdalena verneinte. Im Übrigen schien es ihr nicht angebracht, den Bibliothekar von dem nächtlichen Ereignis mit dem anscheinend schlafenden Alchimisten zu unterrichten – ebenso wenig von ihrer Entdeckung, dass die Landkarte mit dem Flusslauf des Mains auf verblüffende Weise Rudolfos Tätowierung ähnelte.
    Was die unförmige Wurzel in Menschengestalt betraf, die sie Schweinehirt

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