Die Frau des Seiltaenzers
vor die Nase hielt, so wusste dieser Rat, indem er einen Folianten mit dem Titel ›De Occulta Philosophia‹ hervorzog. Der Autor, betonte er ausdrücklich, sei ein gewisser Agrippa von Nettesheim, ein weit gereister Abenteurer und Advokat und in der Schwarzkunst erfahren, was ihm den Ruf eines Teufelsbündlers eingebracht habe.
Aus dem Buch musste Magdalena erfahren, dass sie möglicherweise einem Liebeszauber erlegen war, der von der seltsam präparierten Wurzel ausging. Agrippa wusste tiefschürfend zu berichten, wie die Wurzel mit Namen Radix mandragorae , die andernorts auch Circaea , Diamonon , Mala Canina oder Xeranthe genannt werde, von Hunden aus der Erde gewühlt werde, weil Menschen nach dergleichen Arbeit erfahrungsgemäß vom Tod ereilt würden. Das Gewächssprieße vorwiegend unter dem Galgen einer Richtstätte und aus dem letzten Sperma eines Gehenkten. Je nach den Beigaben, mit denen die Mandragora-Wurzel umwickelt werde, erzeuge sie unterschiedliche Wirkung: Liebe und Glück, aber auch Verderben und Tod.
Xeranthe? Der Name peitschte Magdalenas Herzschlag in die Höhe. Eben noch hatte sie an Rudolfos lauteren Absichten gezweifelt; doch der Name der wundertätigen Wurzel stellte wieder alles in Frage. Magdalena wusste nicht mehr, was sie denken sollte.
Angewidert betrachtete sie die Mandragora-Wurzel. Wer hatte den Homunculus in ihre Kleider gesteckt? War es Rudolfo gewesen, der sie mit Hilfe der schwarzen Magie in seine Arme treiben wollte? Oder war es Xeranthe, die ihr – nicht zum ersten Mal – nach dem Leben trachtete?
Verstört verfolgte Schweinehirt, wie die Frau des Seiltänzers, einer plötzlichen Eingebung folgend, zum Fenster stürzte, um sich der rätselhaften Zauberwurzel zu entledigen. Da wurde die Türe zur Bibliothek aufgestoßen, und ein Dominikaner trat ihr, von vier Schergen begleitet, in den Weg.
Aus seiner schwarz-weißen Kutte ein Kruzifix ziehend, das er Magdalena wie eine Waffe entgegenstreckte, rief er mit frostiger Stimme: »Habe ich dich, du Teufelsbuhlschaft! Knie nieder!«
Magdalena wusste nicht, wie ihr geschah. Angesichts der in derbes Leder gekleideten und mit Ketten bewaffneten Schergen kam sie der Aufforderung ohne Widerstand nach.
An seine Männer gewandt, legte der Dominikaner nach: »Entreißt ihr das Teufelswerk und legt dem Weib die Ketten an!«
Das völlig unerwartete Auftauchen der Häscher versetzte Magdalena in eine Art Starre und verhinderte jede Gegenwehr. Auf dem Steinboden der Bibliothek kniend, sah sie teilnahmslos zu, wie die Schergen ihr die Mandragora-Wurzel aus den Händen rissen und eiserne Fesseln um ihre Handgelenke legten. Dann trieben sie die Frau des Seiltänzers den engen Treppenturm hinab, den westlichen Kreuzgang entlang über den Hof zum Laienrefektorium bis zumanschließenden Cellarium, dessen fünffaches Gewölbe, durch Zwischenmauern unterteilt, jeden Lärm abschirmte.
In einem der spärlich durch eine hohe Luke belichteten Verliese stand an der Schmalseite ein Tisch mit einem Holzkreuz in der Mitte und zwei brennenden Kerzen. Zu beiden Seiten waren langarmige Zangen, Nagelkissen, Daumenschrauben und ein ausgefranstes, aufgerolltes Seil aufgereiht. Hinter dem Tisch saßen, symmetrisch zu beiden Seiten des Kreuzes, je ein Dominikaner und zwei Domherren. Der Platz in der Mitte, hinter dem Kreuz, war leer.
Beinahe wäre Magdalena gestolpert, als die Schergen sie in den abgedunkelten Raum stießen und auf den dreibeinigen Hocker drückten, der vor dem Tisch stand.
Ungerührt und unbeweglich verfolgten die Männer die Ankunft der gefesselten Jungfer. Erst als ein dritter Dominikaner, der die Schergen kommandiert hatte, das Gewölbe betrat, erwachten sie aus ihrer Lethargie, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich flüsternd, die Blicke auf Magdalena gerichtet, und bisweilen schüttelten sie dabei die Köpfe vor Entrüstung.
Erst jetzt, nachdem der Dominikaner in der Tischmitte Platz genommen hatte, fand Magdalena Gelegenheit, ihr Gegenüber in Augenschein zu nehmen. Für einen Mann war er ungewöhnlich klein. Seine auftragende Ordenstracht und das breite, rotfleischige, speckig glänzende Gesicht verliehen ihm ein groteskes Aussehen. Eine frisch geschorene Tonsur verstärkte noch den Eindruck.
» Dominicus sum, frater et praefectus Sancti Inquisitionis und auserwählt, die Heilige Mutter Kirche vor den Nachstellungen des Teufels zu bewahren, in aeternum «, begann der widerwärtige Mönch seine Rede, die durchsetzt
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