Die Frau des Seiltaenzers
seine Augen aus ihren Höhlen hervor wie reife Pflaumen. »Sagen wir den zehnten Teil der Einkünfte, die durch die Entschlüsselung dieser Geheimschrift zustande kommen.« Und mit erhobener Stimme, die bei diesem Menschen besonders bedrohlich wirkte, fügte er hinzu: »Und versucht nicht zu handeln, Euer kurfürstliche Gnaden!«
Da sprang der Fürstbischof auf. Kirchner befürchtete schon das Schlimmste. Hastig zog der Sekretär seinen Herrn beiseite. In einer Ecke des Raumes redete er beschwichtigend auf Albrecht ein. Der giftete unwillig zurück, schließlich einigten sich beide und nahmen wieder am Tisch Platz.
»Woher will Er überhaupt wissen, dass dieses Wort der Schlüssel zu Geld und Reichtum ist?«, fragte Albrecht provozierend. »Wirstießen ganz unverhofft in einem alten Folianten auf die Zauberformel, und weil sie gar so seltsam klang und nichts mit der lateinischen und deutschen Sprache zu tun zu haben scheint, weckte sie unsere Neugierde.«
»Ach so ist das«, erwiderte der Steganograph. Er schien enttäuscht. »Dann ist es wohl auch nicht so dringlich, dass ich mich näher damit beschäftige. Schickt mir Euren Secretarius in – sagen wir – vier oder fünf Wochen. Vielleicht habe ich bis dahin eine Lösung gefunden.«
»Nein, das sieht Er falsch«, fiel ihm der Fürstbischof ins Wort. »Wir wollten nur andeuten, dass sich hinter dem rätselhaften Wort HICIACCOD auch eine ganz harmlose Erklärung verbergen könnte …«
»… aber auch der Hinweis auf einen Schatz wie den der Tempelritter oder den des Königs Salomo, der selbst einen Fürstbischof von allen Geldsorgen befreien könnte!«
Albrecht von Brandenburg wurde blass wie ein frisches Altartuch, und Kirchner blickte betont desinteressiert zur Seite.
»Was will Er damit sagen?«, stammelte der Kardinal verunsichert.
Athanasius Helmont hob die Schultern: »Nichts, wenn nicht dieses: Als der Papst Anno Domini 1312 den Orden der Pauperes commilitones Christi templique Salomonis , besser bekannt als Orden der Tempelritter, wegen Ketzerei und Nutzlosigkeit auflöste, da war der reichste Orden der Welt plötzlich bettelarm. Bis dahin verfügten die Pauperes commilitones , die armen Kameraden, über unsagbare Schätze, deren Ansammlung bis auf den legendären Tempelschatz König Salomos zurückging. Bis heute sind all diese Schätze, von denen gesagt wird, man könne sich damit das ganze Universum kaufen, spurlos verschwunden. Nur einige wenige, so sagt man, wüssten, wo diese Schätze verborgen sind. Sie seien jedoch angehalten, ihr Wissen bei Todesandrohung für sich zu behalten und es nur einem würdigen Erben weiterzugeben.«
Mit Staunen rekapitulierte Kirchner: »… das ganze Universum kaufen! Eine märchenhafte Vorstellung. Findet Ihr nicht auch, Euer kurfürstliche Gnaden?«
Albrecht von Brandenburg schwieg nachdenklich und mit gespitztem Mund. In Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen angesichts der möglichen Versprechungen, die die Entschlüsselung des Zauberwortes machte.
»Wenn Ihr die Bücher des Alten Testaments als märchenhaft bezeichnen wollt«, meinte Helmont an Kirchner gewandt. »Oder sind Euch die beiden Bücher der Chronik im Alten Testament unbekannt? Dort steht geschrieben: ›König Salomo übertraf alle Erdenkönige an Reichtum. Er baute einen Tempel, dessen Wände und Türen aus purem Gold waren, ja, sogar dessen Schwellen. Und in seinen Schatzkammern stapelten sich Kunstschätze, aber auch Schüsseln, Töpfe und Pfannen aus Gold. Das trieb sogar der Königin von Saba, die selbst mit Reichtum gesegnet war, Tränen in die Augen – vor Neid.‹ Dann, so heißt es in der Schrift, entschlief König Salomo. Seither ist sein Gold verschollen. Kein Mensch – nicht einmal ein ganzes Volk – könne zu Lebzeiten so viel Gold durchbringen.«
»Und warum erzählt Er uns das alles?«, ließ sich der Fürstbischof nach einer langen Pause vernehmen. »Was den Reichtum König Salomos betrifft, eröffnet Er uns keine Neuigkeiten. Und gestatte Er uns die Frage: ›Was hat das alles mit dem Geheimwort HICIACCOD zu tun?‹ Oder weiß Er mehr?« Albrecht musterte Helmont mit festem Blick in der Hoffnung, sein Gegenüber würde sich durch eine unbedachte Regung verraten.
»Ich weiß weniger als Ihr, Euer kurfürstliche Gnaden. Mir ist ja nicht einmal der Titel des Folianten bekannt, ganz zu schweigen vom Autor und den Einzelheiten und Zusammenhängen seines Werks. Da müsst Ihr mir, mit Verlaub, schon mehr entgegenkommen.
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