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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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aus denen sich das Wort VITRIOL zusammensetzt, bedeuten nichts anderes als Visita Inferiora Terrae Recteficando Invenies Occultum Lapidem – auf deutsch: Suche das Untere der Erde auf, vervollkommne es und du wirst den verborgenen Stein 4 finden.
    Oder die angebliche Inschrift am Kreuz unseres Herrn Jesus: INRI . Ein Notarikon, primitiv gedeutet als J esus N azarenus R ex J udaeorum, also Jesus, der Nazarener, König der Juden. Von den Alchimisten wird die Inschrift jedoch so gedeutet: Igne Natura Renovatur Integra , also: Im Feuer wird die unberührte Natur erneuert. Und weise Männer behaupten, sie laute folgendermaßen: Insignia Naturae Ratio Illustrat – die Vernunft erleuchtet die Zeichen der Natur.«
    Albrecht von Brandenburg schüttelte den Kopf: »Aber welche Aussage verbirgt sich hinter dem Notarikon HICIACCOD? Vielleicht führt Sein schlaues Buch auch dafür eine Erklärung auf!«
    »Ich fürchte, da muss ich Euch enttäuschen, Euer kurfürstliche Gnaden. Aber glaubt mir, früher oder später habe ich noch jedes Notarikon entschlüsselt! Es ist nur eine Frage der Zeit!«
    »Eine Frage der Zeit?«, erwiderte der Fürstbischof aufgebracht. »Wenn Er der Sache nicht gewachsen ist, dann soll Er es sagen! Es gibt noch andere Steganographen im christlichen Abendland.«
    »Und andere, die an einer Lösung des Geheimnisses interessiert sind!«, ergänzte Kirchner.
    Hektisch blätterte der Geheimschriftgelehrte in seinem Folianten, als suche er eine bestimmte Textstelle. Ohne aufzublicken,murmelte er vor sich hin: »Drohungen nützen in diesem Fall wenig. Die Kunst der Steganographie erfordert Geduld und noch einmal Geduld. Oder Glück. Erst jüngst beschäftigte ich mich mit dem geheimnisvollen »A« des Doctor Paracelsus, der es versteht, Krankheiten zu heilen, vor denen andere Ärzte und Quacksalber kapitulieren.«
    Albrecht von Brandenburg und sein Sekretär warfen sich vielsagende Blicke zu, und der Fürstbischof erkundigte sich mit betonter Gelassenheit: »Und, ist Er fündig geworden?«
    »Natürlich. Sogar schneller als ich dachte. In einem Werk des englischen Naturforschers Roger Bacon stieß ich schon am ersten Tag auf den Begriff Azot, abgekürzt A. Auf Flugblättern, gleich Euren Ablasszetteln, lässt sich Doctor Paracelsus allzu gerne mit einem Schwert darstellen, auf dessen Knauf ein A eingraviert ist, A wie Azot.«
    »Und das bedeutet?« Kirchner machte große Augen.
    »Bacon beschreibt Azot als ein Universalheilmittel mit wundertätiger Wirkung, was ihm zu Lebzeiten vor 250 Jahren den Ruf einbrachte, einem Geheimbund anzugehören, der über göttliche Fähigkeiten verfügte: Doctor Paracelsus bedient sich heute dieser Universalarznei des Roger Bacon und lässt sich als Wundertäter feiern. Insgeheim macht er sich darüber lustig, indem er – verschlüsselt – auf den englischen Doctor Mirabilis hinweist. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, wie schwierig, aber auch zufällig die Forschungsergebnisse eines Steganographen sind.«
    »Schon gut«, meinte der Fürstbischof, »Wir wollten nur darauf hinweisen, dass Eile geboten ist, wollen wir nicht ins Hintertreffen geraten gegenüber anderen Interessenten am Schatz des Salomo. An Seinem Wissen und Können haben wir nie gezweifelt. Und was Sein Honorar betrifft, im Erfolgsfall soll Ihm der zehnte Teil zustehen. Gott sei mein Zeuge!«
    Athanasius Helmont blickte in dem spärlich erleuchteten Raum um sich, als suchte er nach dem genannten Zeugen, dann klappte er den Folianten zu und erhob sich.
    Mitternacht war längst vorüber, als Albrecht von Brandenburg und Joachim Kirchner das schmale Haus im Nasengässchen verließen.
    »Was hältst du von dem Kerl?«, fragte der Kardinal, während sie forschen Schrittes den Weg zum fürstbischöflichen Palast einschlugen.
    Kirchner, die Hände auf dem Rücken verschränkt und mit gesenktem Kopf vor sich hin schreitend, antwortete zögernd: »Schwer zu sagen, Euer kurfürstliche Gnaden, Helmont ist von hoher Bildung, und ich hatte den Eindruck, er weiß viel mehr, als er zugibt.«
    »Du meinst, dieser hergelaufene Steganograph will uns hinters Licht führen?«
    »Zumindest solltet Ihr ihm mit Misstrauen begegnen. Mit Eurer Erlaubnis werde ich versuchen, Licht in seine dunkle Vergangenheit zu bringen.«
    Albrecht von Brandenburg nickte zustimmend.
    Der Geheimschriftgelehrte Athanasius Helmont saß noch immer am Tisch und starrte, den Kopf in die Hände gestützt, in das flackernde Talglicht. Vom oberen Stockwerk

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