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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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überraschte Albrecht von Brandenburg mit der Nachricht: »Die Frau des Seiltänzers ist aus dem Kloster Eberbach geflohen!«
    Der Fürstbischof beendete seine Morgentoilette, die ihm nichts als Ärger eingebracht hatte, und ließ sich von den Badefrauen einkleiden. Während sie ihm einen frischen kardinalsroten Talar über den Kopf stülpten, erkundigte sich Albrecht bei seinem Sekretär: »Wie konnte das geschehen? Da steckt doch dieser Gesandte des Fuggers dahinter! Dabei wäre die Frau des Seiltänzers die Einzige, die uns weiterhelfen könnte. Kirchner, rekrutiere ein, zwei bewaffnete Suchtrupps. Sie sollen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, diese Frau zu finden. Außerdem soll umgehend der brabantische Alchimist und Geheimschriftgelehrte Athanasius Helmont vorstellig werden, der seit geraumer Zeit im Nasengässchen Wohnung bezogen hat. Kein Mensch weiß, wovon er überhaupt lebt – wenn nicht vom Betteln und Stehlen.«
    »Mit Verlaub«, begann Kirchner, »das ist ein bisschen viel auf einmal. Aber was den Gesandten des Fuggers betrifft, so hatte er, wie Ihr wisst, einen triftigen Grund für seine Abreise. Der Wirt vom Gasthaus ›Zwölf Apostel‹, bei dem er logierte, schwört Stein und Bein, dass er ganz allein nach Augsburg aufgebrochen ist – ohne die Frau des Seiltänzers.«
    »Die einzige gute Nachricht an diesem schrecklichen Morgen«, brummelte der Fürstbischof. »Schwarz sind wir fürs Erste los.«
    Kirchner wiegte den Kopf hin und her, als wollte er sagen: »Warten wir’s ab. Früher oder später wird er mit seinen Zinsforderungen wieder auftauchen.« Aber das dachte er nur, auszusprechen wagte er es nicht, denn er wollte seinen Herrn an diesem Morgen nicht noch mehr verärgern. Stattdessen meinte er: »Wussten Seine kurfürstliche Gnaden eigentlich, dass die Frau des Seiltänzers von den Dominikanern der Inquisition der Hexerei bezichtigt wurde und sich einem Gottesurteil unterziehen sollte? Sie sollte vor den Augen des Inquisitors über ein hochgespanntes Seil gehen. Dieses Mal im Kloster Eberbach.«
    »Und dem hat sie sich durch die Flucht entzogen! Das würde aber bedeuten, dass sie doch nicht über das Wissen der Neun Unsichtbaren verfügt.«
    »So ist es nicht, Euer kurfürstliche Gnaden! Denn noch bevor sie die Flucht hätte antreten können, rettete sie ein hoher geistlicher Würdenträger aus den Klauen des Inquisitors!«
    »Kurienkardinal Giustiniani!«
    »So ist es. Offenbar versuchte sich der Legat des Papstes bei der Jungfer einzuschmeicheln, um mehr über die ›Bücher der Weisheit‹ zu erfahren.«
    »Kirchner, woher weißt du das alles!«, rief der Kardinal anerkennend.
    »Abt Nikolaus von Eberbach sandte einen Boten«, antwortete der Sekretär. »Er meinte, Seine kurfürstliche Gnaden sollte davon Kenntnis haben. Ihr versteht, warum ich den Boten während Giustinianis Anwesenheit nicht zu Euch vorlassen wollte.«
    Der Fürstbischof nickte: »Gut gemacht, Kirchner. Was hältst du übrigens von dem brabantischen Geheimschriftgelehrten?«
    »Man hört wundersame Dinge«, antwortete der Sekretär. »Manche behaupten, der Teufel sei ihm bei seiner Arbeit behilflich, andere wollen wissen, dass er an einer ›Magia naturalis universalis‹ arbeite und sich alter Handschriften bediente, die niemand lesen kann. Und wieder andere wollen gesehen haben, dass nächtens Frauen bei ihm ein und aus gehen, deren Ruf nicht der beste ist.«
    »Du meinst Hübschlerinnen?«
    »Das auch; aber meist sind es rothaarige Frauen, denen nachgesagt wird, sie verstünden das Nestelknüpfen, welches – verzeiht die derbe Wortwahl – beim Coitus die Empfängnis verhindert. Angeblich beherrschen sie den Wetterzauber, der die Blitze auf die Häuser unliebsamer Zeitgenossen lenkt. Oder sie neigen zu Visionen und haben sich der Kunst des Wahrsagens verschrieben. Mit anderen Worten: Sie beherrschen angeblich lauter zweifelhafte Dinge!«
    »Soll uns recht sein, wenn der brabantische Steganograph uns nur von Nutzen ist. Denn wie du weißt, haben wir einen Hinweis auf die Neun Unsichtbaren, das Kryptogramm HICIACCOD, welches, außer der Frau des Seiltänzers, vermutlich niemandem bekannt ist.«
    »Und die Schlange, nicht zu vergessen!«, bemerkte Kirchner beflissen.
    »Ja, die Schlange …«, wiederholte der Fürstbischof und gab zu bedenken, ob es nicht besser sei, den Steganographen Athanasius Helmont noch heute aufzusuchen. Ein Geheimschriftgelehrter im fürstbischöflichen Palais sei allzu sehr geeignet,

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