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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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schlafende Hunde zu wecken.
    »Da muss ich Euch recht geben«, stimmte Kirchner dem Fürstbischof zu. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich Euren Besuch bei dem brabantischen Gelehrten ankündigen.«
    Nach Einbruch der Dämmerung brachen Fürstbischof Albrecht und sein Sekretär Kirchner zum Nasengässchen auf. Wie gewöhnlich waren die Straßen in Mainz wie leergefegt. Das Nasengässchen war so schmal, dass eine Kutsche oder ein Reisewagen normalen Ausmaßes darin stecken geblieben wäre. Und das war auch der Grund, warum in den schmalbrüstigen Häuschen, die sich beinahe ängstlich aneinanderschmiegten, nur einfache Leute hausten, vorwiegend Bedienstete, welche bei den Domherren in Brot und Arbeit standen und die nicht gewohnt waren, sich in einer Kutsche fortzubewegen.
    Anders als sonst, wenn der Fürstbischof sich zu Fuß in die Niederungen des Volkes begab, trug Albrecht diesmal keine auffälligen purpurnen Gewänder, auch keine Kopfbedeckung, die ihn sofort verraten hätte. Der Kardinal ging barhäuptig und in schwarzem Talar, der ihn nicht im Geringsten von einem gewöhnlichen Kleriker unterschied, die zuhauf die Domstadt bevölkerten wie Fliegen das Fallobst.
    Das dreistöckige Häuschen, in dem der Steganograph und Alchimist seit Kurzem Wohnung bezogen hatte, unterschied sich von den anderen Behausungen des Gässchens kaum, wären nicht die Fenster und die Eingangstüre zur Straße hin noch kleiner und enger gewesen als die der übrigen Häuser.
    Auf ein Klopfzeichen, welches der brabantische Gelehrte mit Kirchner vereinbart hatte, öffnete jener die Türe, die jedem Eintretenden eine tiefe Verneigung abverlangte wie beim Introitus in der Frühmesse.
    Athanasius Helmont, von zarter Statur und ungewöhnlich heller, beinahe durchsichtiger Hautfarbe, zeigte sich wortkarg und zurückhaltend und führte die Besucher in das erste Stockwerk, wo es nur einen einzigen Raum mit zwei winzigen Fenstern zum Nasengässchen hin gab. Abgesehen von einem Tisch in der Mitte des Zimmers gab es kein Mobiliar, nur hölzerne Kisten, Reisetruhen und Bücher, stapelweise aufeinandergeschichtet. Mancher Stapel reichte fast bis zur Decke. Als einzige Lichtquelle diente eine grünlich leuchtende Glaskugel in der Mitte des quadratischen Tisches, für deren Funktion Fürstbischof Albrecht keine Erklärung fand, außer es handelte sich dabei um die jüngste Erfindung eines Alchimisten.
    »Ich nehme an«, begann Albrecht von Brandenburg, nachdem er am Tisch auf einer Reisetruhe Platz genommen hatte, die als Sitzgelegenheit diente, »ich nehme an, mein Secretarius Joachim Kirchner hat Ihn in Kenntnis gesetzt und Er weiß, worum es geht.«
    »Nur in Andeutungen!«, hauchte Helmont, sich mit beiden Händen an die Tischplatte klammernd, als sei er einer Ohnmacht nahe. Schließlich schob er dem Kardinal ein steifes Papier samt Feder und Tinte über den Tisch: »Wenn Euer kurfürstliche Gnaden das rätselhafte Wort, um das es geht, niederschreiben würden!«
    Albrecht warf Kirchner einen hilfesuchenden Blick zu. Nicht dass Seine kurfürstliche Gnaden nicht schreiben konnte, aber Mühe bereitete es ihm schon. Vor allem war er es nicht gewohnt, selbst zur Feder zu greifen.
    Also nahm Kirchner die Feder und kritzelte das geheimnisvolle Wort, das wie ein Menetekel in seinem Gedächtnis geblieben war, auf das Papier:
    HICIACCOD
    Dann schob er das Papier dem Fürstbischof zu. Der begutachtete das geheimnisvolle Wort, nickte und gab es an den Steganographen weiter, der ihm gegenüber auf einer Bücherkiste Platz genommen hatte.
    Zunächst schien es, als machte sich Athanasius Helmont über das geheime Wort lustig, denn er verzog den Mund, als müsse er lachen. Doch dann wurde deutlich, dass der Steganograph die einzelnen Buchstaben nur stumm vor sich hin sagte.
    Ohne aufzublicken, meinte der Geheimschriftgelehrte: »Keine einfache Aufgabe, die Ihr mir hier stellt. Mit Verlaub, über mein Honorar im Erfolgsfall haben wir noch kein Wort verloren!«
    Indigniert hob Kirchner die Augenbrauen, und der Kardinal holte lautstark Luft, wie er es gerne tat, um seinen Unmut kundzutun.
    Helmont, noch immer ganz in sich gekehrt und gefangen von dem rätselhaften Wort, bemerkte trocken: »Nichts auf Gottes weiter Erde ist umsonst, außer der Tod. Und der kostet das Leben.« Darauf brach der Steganograph, der sich bisher in vergeistigter Zurückhaltung geübt hatte, in gurgelndes Gelächter aus und schnappte nach Luft wie ein Hund nach erfolgloser Hasenhatz. Dabei traten

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