Die Frau des Seiltaenzers
brachte, in der es wie auf einem Tierfriedhof stank.
Wortlos sprang Richwin vom Kutschbock und verschwand in einem Fachwerkhaus, das schon bessere Tage gesehen hatte. Die Fenster waren vergittert. Darin unterschied es sich von allen anderen Häusern in der Gasse. Magdalena und Wendelin warteten schweigend auf Richwins Rückkehr. Die ließ nicht allzu lange auf sich warten.
Schnaubend und fluchend vor Wut, wobei er sich lautstark über das »elende Weiberpack« ausließ, erklomm er den Kutschbock. Bevor er seinen Wagen in Bewegung setzte, erkundigte er sich bei Magdalena ungewöhnlich höflich, wo er sie absetzen dürfe. Von ihrem Aufenthalt mit den Gauklern war Magdalena das Gasthaus ›Zum Schwanen‹ in Erinnerung geblieben. Das nannte sie als Ziel und erntete damit bei Richwin heftigste Zustimmung, denn in keiner Herberge der Stadt sei der Wein so süffig und obendrein so billig.
Der Abschied von Wendelin Schweinehirt vor dem Gasthaus ›Zum Schwanen‹ fiel äußerst kühl aus. Natürlich war demBibliothekar Magdalenas Stimmungsumschwung nicht entgangen. Vor allem jetzt nicht, als er ihr die Hand reichte und Magdalena seinem Blick auswich, als sprühte Feuer aus seinen Augen. Dennoch versprach Wendelin, in den nächsten Tagen bei ihr nach dem Rechten zu sehen.
Im ›Schwanen‹, dessen Wirt von kleinem Wuchs und wohlbeleibt wie ein Weinfass war, fand sie zuvorkommende Aufnahme – keine Selbstverständlichkeit für ein allein reisendes Frauenzimmer. Es ging auf den Abend zu, und Magdalena hatte seit drei Tagen kaum etwas gegessen. Daher sprach sie dem Eintopf aus Rüben, getrocknetem Brot und Resten von Hühnerfleisch, den ihr der Wirt auftischte, zu, als sei es ein Feiertagsmahl nach überstandener Fastenzeit.
Bevor sie ihren Strohsack in der Kammer unter dem Dach aufsuchte, gönnte sie sich ein Krüglein Wein. Zum einen, um die Enttäuschung hinunterzuspülen, die Wendelin ihr bereitet hatte, zum anderen in der Hoffnung, der Wein würde ihre Gedanken beflügeln und ihr einen Weg weisen, wie es weitergehen sollte.
Plötzlich und unerwartet stand Richwin, der Weinkutscher, in der Türe, ein breites Lachen im Gesicht. Er trat auf Magdalena zu, die in einer Ecke der Gaststube Platz genommen hatte, und fragte höflich, als wolle er seine gute Kinderstube zur Schau stellen: »Ist es gestattet, der Jungfer Gesellschaft zu leisten?«
Magdalena nickte freundlich: »Ich hoffe, du hast deine Weinfässer beim Bischof abgeliefert. Bis Bamberg hätte die Reise nicht mehr gehen dürfen, dann wäre nur noch Wasser drin gewesen.«
Richwin grinste verschmitzt, während der beleibte Wirt dem Kutscher einen Krug auf den Tisch stellte. »Ihr müsst schon entschuldigen«, meinte Richwin, als Magdalena vergebens nach einem Becher Ausschau hielt. »Den Wein erst noch in einen Becher zu schütten rentiert sich nicht.« Sprachs und setzte den Krug an die Lippen.
Nachdem er seinen größten Durst gelöscht hatte, wischte er sich den Mund am Ärmel seiner Kutscherjacke ab und ergänzte: »WisstIhr, Jungfer, das kann man natürlich nicht bei jedem machen. Aber Bischof Konrad versteht nichts vom Wein. Für ihn ist das, was auf dem Fass eingebrannt ist, wichtiger als das, was drin ist. Der Mann kann einem leidtun; versteht Ihr, Jungfer?«
»Aber gewiss, Richwin, gewiss. Ein Becher Wein kann durchaus die Sinne beflügeln, und die Quacksalber behaupten sogar, ein Becher Wein pro Tag sei der Gesundheit förderlich.«
»Ein Becher pro Tag?«, wiederholte der Kutscher nachdenklich. So entstand ungewollt eine lange Pause, bis Magdalena, neugierig geworden, aber auch, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, endlich die schlichte Frage stellte: »Und Wendelin Schweinehirt?«
»Den habe ich mit dem Wein auf der Festung Marienberg abgeliefert. Er hat im Gesindehaus Unterschlupf gefunden. Seine Exzellenz Bischof Konrad lag schon im Bett und erklärte sich erst morgen bereit, den Bibliothekar zu empfangen. Ihr hattet wohl Ärger mit Eurem Begleiter?«
»Ärger, wieso?«
»Nun ja, während der letzten Tage unserer Reise habt Ihr kein Dutzend Worte gewechselt. Aber was geht es mich an!«
Mit einer heftigen Bewegung setzte Richwin den Krug an die Lippen, dass der Wein ihm ins Gesicht schwappte. Das fand der Kutscher so zum Lachen, dass er prustete und sich verschluckte und in der Hosentasche nach einem Sacktuch kramte, um sein Gesicht zu säubern.
Magdalenas Lachen blieb ihr im Halse stecken: Richwin hielt kein Sacktuch in Händen,
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