Die Frau des Seiltaenzers
Eisenklappe vor der Nase zu.
»He!«, rief Magdalena und trommelte mit den Fäusten gegen das Festungstor, bis die Klappe erneut geöffnet wurde. In der Öffnung erschien ein zweites Gesicht.
Dieser Schweinehirt, erklärte der Wächter und machte sich kichernd über den Namen lustig, habe am Morgen die Festung verlassen, nachdem Seine Gnaden sein Anliegen ablehnend beschieden habe. Auf ihre Frage, ob der Bibliothekar eine Andeutung über sein Ziel gemacht habe, erwiderte der Wächter, Schweinehirt habe sich nach dem Weg zur Benediktinerabtei St.Jakobus erkundigt. Mehr wisse er nicht.
Die Abtei St.Jakobus lag abseits auf der westlichen Seite des Flusses, wo sich die Benediktinermönche vor den Widrigkeiten der Welt abschotteten. Askese und Geheimnistuerei schürten bei den Würzburgern das Misstrauen. Hinzu kam, dass die Mönche, wenn sie zu zweit oder zu viert das Kloster verließen, nur lateinisch parlierten, damit niemand sie verstehen konnte. Gerüchteweise war zu hören, sie würden Mitbrüder, an denen das Alter nagte, in der Krypta ihrer Kirche einmauern, zum einen, um ihnen Leid zu ersparen, zum anderen, weil sie sich auf diese Weise eines unnützen Essers entledigten. Denn St.Jakobus war eine Abtei von der ärmeren Sorte und ziemlich heruntergekommen. Im Bauernaufstand hatte sie mehr gelitten als andere Klöster der Umgebung.
Als Magdalena um die Mittagsstunde in St.Jakobus eintraf, wurde sie von einem weißhaarigen Benediktiner empfangen und in die kahle Pförtnerstube geleitet, wo ihr der alte Mönch die Frage stellte: »Quod est nomen tuum?«
»Magdalena«, antwortete Magdalena, »et nomen patri mei est Beelzebub.« 5
Der Alte hatte wohl nicht erwartet, dass die Jungfer ihn verstehen, geschweige denn, dass sie ihm auf Latein antworten würde, als sei es ihre Muttersprache. Jedenfalls zog er es vor, die weitere Unterhaltung in deutscher Sprache zu führen.
Was sie in die Abtei St.Jakobus führe, wollte er wissen, und wo sie denn herkomme. Er sei Bruder Lucius.
Wahrheitsgemäß erwiderte Magdalena, sie suche nach Wendelin Schweinehirt, dem Bibliothekar, mit dem sie von Kloster Eberbach hierhergereist sei auf der Suche nach einer neuen Aufgabe.
Ja, gab der Mönch zu verstehen, ein Fremder dieses Namens sei gerade erst eingetroffen und beim Abt vorstellig geworden in ebendieser Angelegenheit. In welchem Verhältnis sie zu dem Menschen stehe?
Verhältnis? In keinem, antwortete Magdalena, wenn nicht diesem, dass sie mit Schweinehirt im Kloster der Zisterzienser von Eberbach zusammengearbeitet habe. Vielleicht, fragte sie, ergebe sich auch für sie die Möglichkeit, in der Bibliothek der Abtei für Ordnung zu sorgen.
Bruder Lucius rieb sich die Augen und musterte Magdalena mit unsicherem Blick von der Seite, als traue er der Jungfer nicht so recht, dann stellte er ihr die Frage, ob sie denn etwas von Büchern verstehe, von Frontispiz und Kolophon, Versal und Ligatur, Folio- und Quartformat?
Da lachte Magdalena und sagte, Frontispiz werde die Titelverzierung oder das dem Titel gegenüberstehende Blatt genannt, während das Kolophon am Ende eines Buches nichts weiter sei als eine Notiz des Setzers oder Druckers. Als Versalien würden die Großbuchstaben des Alphabets bezeichnet, während Ligatur die Verschmelzung zweier Buchstaben auf einer Letter bedeute wie zum Beispiel a unde zu æ. Im Übrigen wisse jeder, der schon einmal eine Bibliothek von innen gesehen habe, dass ein Bogen Papier, einmal gefaltet, das Folioformat eines Folianten ergebe; würde der Bogen zweimal gefaltet, das Quartformat, viermal das Sedezformat, achtmal das …
Der Mönch hob beide Hände, als wollte er sagen: Genug, genug! Aber er schwieg und verließ kopfschüttelnd die Pförtnerstube. Magdalena war allein. Eigentlich hatte sie nur Wendelin treffen und ihm den Grund für ihr tagelanges Schweigen erklären wollen. Aber nun verfolgte sie ein neuer Gedanke: Wenn es ihr gelänge, Zutritt zur Bibliothek zu finden, in der Trithemius gewirkt hatte – vielleicht fände sie dort den entscheidenden Hinweis auf die neun ›Bücher der Weisheit‹. Eile war geboten, denn früher oder später würde Giustiniani, der Legat des Papstes, hier auftauchen. Und Xeranthe, der Weibsteufel, wusste ebenfalls, dass sie sich nach Würzburg abgesetzt hatte.
Es war Wendelin, der sie aus ihren Gedanken riss. Schweinehirt schien überrascht, mehr noch, verwirrt, als er in die Pförtnerstube trat und Magdalena erblickte.
»Du hier?«, stammelte er
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