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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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roten Sandstein einarbeite, wie die nachträglichen Falten. Sie laufen an einem Punkt zusammen, und dieser Punkt markiert einen Ort von besonderer Bedeutung. Mehr sagte Trithemius nicht. Er tat sehr geheimnisvoll. Über die Bedeutung des Ortes wüsste ich so gut wie nichts, gäbe es da nicht einen zweiten Hinweis, der mit dem ersten irgendwie in Verbindung steht. Zwar hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken, aber wenn ich ehrlich bin, weitergebracht hat es mich nicht.«
    Magdalena trank ihren Becher in einem Zug leer. Riemenschneider staunte.
    »Gewiss habt Ihr das Epitaph im Kreuzgang des Klosters schon gesehen«, fuhr er fort. »Alles andere als ein Meisterwerk. Allerdings verbirgt es mehr als ein Geheimnis. Nicht nur die Falten seines Gewands und das aufgeschlagene Buch. Bei näherer Betrachtung dürfte Euch nicht entgangen sein, dass Trithemius’ Epitaph im oberen Teil eine scheinbare Bruchstelle aufweist.«
    »Eine scheinbare Bruchstelle? Was soll das heißen, Meister Riemenschneider?«
    Mit beiden zu Stein erstarrten Händen ergriff der Bildhauer den Becher, nahm einen tiefen Schluck, setzte ihn ab und ließ einwohliges Rülpsen vernehmen zum Zeichen, dass ihm der Wein konvenierte.
    »Nun ja«, ließ er sich schließlich zurückhaltend vernehmen, »ursprünglich trug der obere Teil in seinem Rundbogen eine andere Inschrift als heute. Sie war in lateinischer Sprache abgefasst und gab Anlass zu mancherlei Spekulationen. Nach Trithemius’ Tod bestand Bischof Konrad darauf, die Inschrift zu entfernen und durch eine andere zu ersetzen. Die Weisung, behauptete Bischof Konrad, stammte angeblich von Kurfürst Albrecht von Brandenburg.«
    »Höchst seltsam, findet Ihr nicht, Meister Riemenschneider? Zumal eine in Stein gehauene Inschrift nicht so einfach zu tilgen ist wie die Tinte auf einem Pergament!«
    »Das sagt Ihr , denn Ihr seid ein Weib mit Verstand. Den aber möchte ich unserer kurfürstlichen Gnaden und seinem Statthalter Bischof Konrad absprechen. Ich gab mich versöhnlich und erklärte mich bereit, das Epitaph mit neuer Inschrift ein zweites Mal zu schlagen. Doch dafür beanspruchte ich noch einmal mein Honorar – schließlich hätte ich doppelte Arbeit.«
    »Das scheint mir nur recht und billig, auch wenn das Vorhaben nicht den Wünschen des Abtes Trithemius entsprach. Wie ging der Handel aus?«
    Meister Riemenschneider lachte verbittert: »Die hohen Herren weigerten sich, mir Lohn für ein zweites Epitaph zuzugestehen. Erbost ließ ich sie wissen, dann bliebe wohl nichts anderes, als den oberen Teil des Grabsteins mit der umstrittenen Inschrift abzuschlagen. Was als übler Scherz gedacht war, fand Bischof Konrad durchaus praktikabel. Er meinte, ich solle den oberen Teil abschlagen und einen neuen Teil draufsetzen mit einer Inschrift, die nur die lateinischen Worte ›Der verehrungswürdige Vater und Herr Johannes Trithemius‹ trüge. Die alte sollte ich zerschlagen. So geschah es.«
    Magdalena schüttelte den Kopf: »Und wie lautete die Inschrift, die Albrecht von Brandenburg und Bischof Konrad so in Aufruhr versetzte, dass sie ihre Zerstörung verlangten?«
    Der Bildhauer hob die Schultern. Er hatte schon reichlich dem Frankenwein zugesprochen, und seine Stimme klang dünn, seine Zunge schwer, als er antwortete: »Ich weiß es nicht. Ich habe es nie gewusst. Trithemius nannte mir an jedem Arbeitstag einen Buchstaben. Den schlug ich in Stein. Als ich fertig war und die Buchstabenfolge keinen Sinn ergab, stellte ich dem Abt die Frage, was das zu bedeuten habe. Da polterte Trithemius los, ich solle mich um meine Arbeit kümmern und meinen Verstand aus dem Spiel lassen. Es fehlte nicht viel, und ich hätte ihm meinen Meißel vor die Füße geworfen.«
    »Und Ihr erinnert Euch an kein einziges Wort dieser Umschrift?«, bohrte Magdalena nach.
    »Wie sollte ich«, entgegnete der Bildhauer ungehalten. »Die Umschrift bestand aus einem Gewirr von Buchstaben, und es war unmöglich, daraus auch nur ein sinnvolles Wort zu bilden. Die ersten sechs Buchstaben habe ich noch im Kopf: I.aet.ta. Daraus soll einer schlau werden!«
    »Aber der Mainzer Erzbischof und sein Würzburger Amtsbruder wussten damit durchaus etwas anzufangen, sonst hätten sie nicht darauf bestanden, die ursprüngliche Inschrift zu zertrümmern.«
    »Da habt Ihr allerdings recht«, bemerkte Riemenschneider. Und nach längerem Schweigen fügte er hinzu: »Man müsste die Bruchsteine zusammensetzen und das Schriftband zu Papier bringen. Ein

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