Die Frau des Seiltaenzers
jeder Ikonographie, tat er mit einer abfälligen Handbewegung und der dünkelhaften Bemerkung ab, was Ikonographie sei, bestimme er und kein anderer. Also stellte ich ihn auf dem Epitaph mit einem aufgeschlagenen Buch dar, welches er an den Leib presst. Aber wenn Ihr glaubt, Trithemius habe sich damit zufriedengegeben, täuscht Ihr Euch. Kaum war sein Bildnis fertig – der Abt trug ein schlichtes, geglättetes Bischofsgewand –, da zog er ein Papier hervor, auf das er seltsam unnatürliche Linien gekritzelt hatte, und meinte, ich müsste sein in Stein geschlagenes Gewand mit Falten versehen, gerade so, wie er es auf dem Papier vorgezeichnet habe. Da nahm ich meinen schwersten Hammer in beide Hände, holte aus und wollte das Epitaph mit einem kräftigen Schlag in hundert Stücke zerschlagen. Fraglos wäre mir das auch gelungen, hätte Jörg mich nicht im letzten Augenblick daran gehindert. So kam es, dass ich nachträglich für den hochwürdigsten Herrn Abt Gewandfalten aus dem Sandstein meißelte, die, ich gestehe es, eines Tilman Riemenschneider unwürdig sind.«
»Unwürdig? Warum unwürdig?«, wandte Magdalena ein. Sie war auf einmal höchst aufgeregt.
»Sie sind vollkommen unnatürlich«, polterte der Meister los. »Solche Falten gibt es überhaupt nicht. Es sind die schlechtesten Falten seit Christi Geburt!«
»Aber Meister Riemenschneider!«, versuchte Magdalena den alten Mann zu beschwichtigen. »Ich finde die Falten auf Trithemius’ Gewand sehr interessant.«
»Interessant? Ich will nicht, dass man in hundert Jahren einmal sagt, dieser Riemenschneider hat dem Sandstein interessante Falten abgerungen. Nein, die Nachwelt soll sagen, dieser Riemenschneider hat Gewandfalten in Stein gehauen, man könnte meinen, sie sind aus feinstem Leinen.«
Magdalena nickte verständnisvoll. »Dieser Abt Trithemius mussein merkwürdiger Mensch gewesen sein«, meinte sie schließlich in der Hoffnung, Riemenschneider mehr über den Unsichtbaren zu entlocken.
Doch da trat Jörg auf den Plan: »Verzeiht, wenn ich Eure Unterhaltung unterbreche«, meinte er, »mein Vater ermüdet rasch. Er hat schon lange nicht mehr so viel auf einmal geredet. Lasst es damit bewenden!«
Verständnisvoll zog sich Magdalena zurück. Sie wollte den Bildhauer nicht noch mehr bedrängen. Vor allem durfte sie nicht den Anschein erwecken, dass sie hinter einer bedeutsamen Sache her war.
Während sie abends im Gasthaus ›Zum Schwanen‹ ein karges Mahl zu sich nahm, versuchte Magdalena die Details, die Riemenschneider erwähnt hatte, in ihr bereits vorhandenes Wissen einzuordnen. Lustlos, ohne Appetit, stocherte sie in einem Eintopfgericht aus Kohl, Kraut und gedünsteten Schweineschwarten herum, als die Türe aufging und Tilman Riemenschneider in die dicht besetzte, düstere Wirtsstube trat.
Wortlos nahm er an Magdalenas Tisch Platz, winkte den Wirt herbei und bestellte für sich einen Krug von seinem besten Roten und für Magdalena, ungefragt, einen Weißen. »Ihr werdet es mir doch nicht abschlagen, mit mir einen Krug zu leeren«, meinte er, an Magdalena gewandt.
»Natürlich nicht«, erwiderte sie auf die unerwartete Einladung.
Eine Weile tauschten die beiden Belanglosigkeiten aus, ungeachtet der neugierigen Blicke, mit denen die zahlreichen Gäste im Schankraum sie musterten. Unter ihnen ein neugieriger Gaffer, dessen üppige, schwarze Barttracht weder zu seinem schmalen Gesicht noch zu seinem grauen Haupthaar passen wollte.
»Ich muss unbedingt noch etwas loswerden«, sprach Riemenschneider plötzlich mit getragener Stimme. »Ich wollte nicht, dass mein Sohn Jörg etwas davon mitbekommt. Er hat ein Mundwerk wie ein Waschweib. Bei Euch, glaube ich, ist mein Wissen besser aufgehoben.«
»Ihr sprecht in Rätseln, Meister Riemenschneider!«
»Keine Bange! Gleich werdet Ihr begreifen, was ich meine: Alle Welt glaubt, Bischof Konrad von Würzburg hätte mir die Handknochen brechen lassen, weil ich am Bauernaufstand teilgenommen habe. Doch das ist falsch. Der wahre Grund, meine Hände auf der Streckbank zu zertrümmern, lag in meinem Schweigen begründet. Bischof Konrad handelte im Auftrag Albrechts von Brandenburg, der versuchte, aus mir herauszupressen, welche Bedeutung dem Epitaph des Abtes Trithemius zukommt. Der Handlanger des Fürstbischofs glaubt noch heute, Trithemius habe mich in sein obskures Geheimwissen eingeweiht.«
»Und – hat er?«
»Ich weiß nur so viel: Trithemius wollte, dass ich verschlüsselte Botschaften in den
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