Die Frau des Seiltaenzers
unscheinbaren Sarkophag. » Clemens ! Bist du sicher?«
Magdalena hob unwillig die Augenbrauen und schwieg.
»Das würde ja bedeuten, dass die ›Bücher der Weisheit‹ …«
»… hier im Sarkophag des Papstes Clemens versteckt sein könnten!« Magdalena schlug die Hände vors Gesicht.
Mit der Funzel in der Hand umrundete sie die unscheinbare Grabstätte und leuchtete auf die rätselhaften Reliefs, zwei auf der rechten, drei auf der linken Seite sowie je eines an der schmalen Stirn- und Fußseite.
Generationen von Symboldeutern hatten sich schon den Kopf über die Darstellungen zerbrochen und die unterschiedlichsten Theorien entwickelt. Was hatte ein Mann, der mit einem Löwen kämpft, zu bedeuten? Oder ein halbnackter Drachenkämpfer? Mann oder Frau mit einer Waage? Und einer, der den Inhalt zweier Krüge mischt?
Vor der Szene, welche die Fußseite zierte, verharrte Magdalena lange und sprachlos: Sie zeigte einen breit lachenden Mann mit spitzer Haube, auf einem Bett liegend. Hinter ihm nahte ein geflügelter Engel mit einer Schriftrolle. Die spitze Haube wies zweifellos auf Papst Clemens hin. Und kluge Gelehrte hatten die Szene vielfach als ›Clemens auf dem Sterbebett‹ gedeutet. Dagegen sprach allerdings, dass sich Clemens bequem auf seinen rechten Unterarm stützte. Und sein lachender Gesichtsausdruck war nicht gerade der eines Sterbenden.
Wendelin trat hinzu und betrachtete lange die Darstellung des Papstes.
»Ich glaube, wir haben beide den gleichen Gedanken«, sagte er leise.
»Du meinst, worauf zeigt Clemens mit dem ausgestreckten linken Zeigefinger? Mir kommt es vor, als wollte er uns einen Hinweis geben, dass an dieser Stelle in seinem Sarkophag etwas verborgen liegt, von dem nur Eingeweihte wissen. Der flüchtige Betrachter kann sich jedenfalls kaum einen Reim darauf machen.«
»Das würde bedeuten«, sagte Schweinehirt nachdenklich, »dass nicht Trithemius die ›Bücher der Weisheit‹ hierhergebracht hat, sondern dass sie hier schon seit 500 Jahren lagern. Und – Bischof Suidger von Bamberg, der spätere Papst Clemens, gehörte zu den Neun Unsichtbaren! Soweit mir bekannt ist, war Clemens übrigens nur zehn Monate Papst. Er starb, ohne irgendwelche Anzeichen einer Krankheit, auf einer Reise nach Rom. Da hatte er jedoch seinen Sarkophag mit den rätselhaften Bildern bereits in Auftrag gegeben. Und vermutlich seinen Nachfolger bei den Unsichtbaren bestimmt.«
»Hic iacent codices« , murmelte Magdalena gedankenverloren vor sich hin. Ihr Tonfall verriet Ergriffenheit. Doch plötzlich, als hätte ein einziger Gedanke alles verändert, rief sie, dass es von den kahlen Mauern widerhallte: »Wir müssen den Sarkophag öffnen. Noch heute Nacht. Morgen könnte es vielleicht schon zu spät sein.«
Schweinehirt hob beschwichtigend beide Hände: »Ich verstehe ja deine Aufregung. Aber wie stellst du dir das vor?«
»In der Krypta lagert das notwendige Werkzeug der Steinmetze, Meißel und Brechstangen aus hartem Eisen. Im Übrigen ist die Deckplatte nicht so schwer, dass sie nicht von zwei kräftigen Menschen aufgehebelt werden könnte.«
»Mit den zwei kräftigen Menschen meinst du dich und mich!«
»Andere stehen uns nicht zur Verfügung«, erwiderte Magdalena trocken. »Und jetzt komm!«
In der Krypta hatten die Steinmetze ihre Werkzeuge nach Handwerkerart sorgsam aufgereiht. Magdalena und Wendelin brauchtensich nur zu bedienen. Zwei kräftige Meißel, ein schwerer Hammer, zwei mannshohe Brechstangen und ein kniehoher Holzbock mussten fürs Erste genügen.
Wieder zurück, machte Magdalena einen großen Bogen um den toten Steganographen. »Ich kann mir nicht helfen«, bemerkte sie, »ich fühle mich von Helmont beobachtet. Können wir ihn nicht fortschaffen?«
Ohne zu antworten, trat Wendelin auf den Toten zu, packte ihn unter den Achseln und schleifte ihn hinter das Chorgestühl.
In der Zwischenzeit machte sich Magdalena bereits an der Deckplatte des Sarkophags zu schaffen. Um laute Hammerschläge zu vermeiden, kratzte sie mit einem Steinmetzmeißel die dünne Gipsschicht zwischen der Deckplatte und dem eigentlichen Sarkophag heraus. Zweifellos hatte vor nicht allzu langer Zeit jemand dasselbe Ziel verfolgt.
»Vielleicht«, bemerkte sie schnaufend, »können wir in dem Spalt eine Brechstange ansetzen und die Deckplatte hochhebeln. Versuche du das Gleiche auf der gegenüberliegenden Seite.«
»An dir ist ein Steinmetz verloren gegangen«, bemerkte Schweinehirt anerkennend. »Allerdings
Weitere Kostenlose Bücher