Die Frau des Seiltaenzers
glaube nicht daran, dass die acht verbliebenen Männer den Inhalt der Bücher weiterhin geheim halten wollen. Ich glaube, jeder Einzelne würde versuchen, seinen persönlichen Vorteil daraus zu ziehen.«
»Du hast keine sehr hohe Meinung von den Großen unserer Zeit«, bemerkte Schweinehirt.
»Wundert dich das?«, fragte Magdalena zurück und ereiferte sich: »Päpste, die herumhuren wie Fuhrknechte; ein Kaiser, der korrupt ist und sich kaufen lässt; gelehrte Männer, die Wissen und Bildung auf dem Markt feilbieten wie Gaukler; und Künstler, die sich für klingende Münze anbiedern und ihr wahres Talent unterden Scheffel stellen – von solchen Leuten soll man eine hohe Meinung haben?«
Wendelin schwieg. Er konnte nicht anders, er musste ihr recht geben. Welch eine Zeit! War das der viel beschworene Aufbruch in ein neues Zeitalter? Tausend Golddukaten! Wenn sie die Bücher verkauften, hätten sie für ihr Leben ausgesorgt. Aber dann wären sie um keinen Deut besser als jene anderen.
Magdalena beobachtete Schweinehirt von der Seite. Als der ihren Blick auffing, fühlte er sich ertappt und gaffte beschämt zu Boden.
»Ich weiß, woran du gerade denkst«, sagte Magdalena.
»Woher willst du das wissen?«
»Das ist nicht schwer zu erraten, jetzt, wo wir die Bücher gefunden haben.«
Schweinehirt erwiderte aufbrausend: »Und du interessierst dich wirklich nur für dieses gottverdammte Elixier, das dich schweben lässt wie einen Vogel?«
»Für nichts anderes! Mit Hilfe des Elixiers kann ich die Dominikaner der Inquisition eines Besseren belehren. Sie wollen ein Gottesurteil, und das Elixier wird mir helfen, es zu bestehen. Ich werde zwischen den Domtürmen ein Seil spannen und von einem Turm zum anderen schreiten – vorausgesetzt, ich finde die Rezeptur für das Elixier.«
»Und vorausgesetzt, Bischof Weigand von Redwitz erteilt dir die Erlaubnis für diesen Mummenschanz.«
»Was du als Mummenschanz bezeichnest«, erwiderte Magdalena, »wird von der Heiligen Inquisition ein Gottesurteil genannt. Bischof Weigand wird es nicht wagen, sich dem Großinquisitor zu widersetzen.«
»Aber es ist Betrug!«, wandte Schweinehirt ein. »Ohne das Elixier …«
»Natürlich ist es Betrug«, ereiferte sich Magdalena. »Wenn du vor die Wahl gestellt würdest, dich für den Scheiterhaufen oder einen kleinen Betrug zu entscheiden, was würdest du tun? Ja, der edelmütige Wendelin Schweinehirt würde ohne Bedenken den Scheiterhaufen wählen – ich weiß!«
Wendelin schwieg, er schwieg beharrlich, um Magdalena mit seinem Schweigen zu bestrafen.
Im Treppenhaus knarrten die alten Stufen. Von unten näherten sich mehrere Personen. Kurz darauf wurde die Türe ihrer Kammer aufgestoßen. Ein Amtmann in schwarzer Tracht, begleitet von zwei Schergen, der Pfisterin und dem Türmer der Oberen Pfarre, drängten in den engen Raum.
»Nennt Euren Namen!«, herrschte der Amtmann Magdalena an.
»Magdalena Beelzebub«, erwiderte sie.
Und mit Blick auf Wendelin: »Euer Name?«
»Wendelin Schweinehirt.«
Dann wandte er sich der Pfisterin zu: »Sind das die beiden?«
»Gewiss, Euer Ehren! Sie logieren seit zwei Tagen bei mir.«
Und an den Türmer gewandt: »Berichte, was du gesehen hast!«
»Was ich gesehen habe? Nun ja, mir fielen die beiden auf, als ich heute Morgen von meiner Wohnung auf dem Turm nach unten blickte. Da sah ich, wie sie eilenden Schrittes vom Dom her kamen und hastig zur ›Hölle‹ strebten.«
»Wann war das?«
»Im Morgengrauen, beim Geläut zur Frühmesse.«
»Und du, Pfisterin, was hast du auszusagen?«
Die Wittfrau verschränkte die Arme vor ihren breiten Brüsten, musterte ihre Mieter mit einem abfälligen Blick und sagte: »Ich kann nur sagen, dass sie während der Nacht nicht in ihrer Kammer waren.«
Der Amtmann grinste hämisch: »Jetzt werdet Ihr uns sicher gleich erklären, wo Ihr die Nacht verbracht habt.«
Magdalena fühlte sich an die rüde Befragung des Inquisitors erinnert und daran, dass jede Antwort, die sie gab, einem im Mund umgedreht und zu ihrem Nachteil verwendet werden konnte. Deshalb zog sie es vor zu schweigen.
Auch Schweinehirt schwieg beharrlich.
Der Amtmann scharrte ungeduldig mit dem Fuß wie ein Zugpferd, das auf den Ruf wartet, sich ins Zeug zu legen.
Schließlich erkundigte sich Schweinehirt: »Welchen Verbrechens werden wir eigentlich beschuldigt?«
Da baute sich der Amtmann vor Magdalena und Wendelin auf und sprach mit erhobener Stimme: »Magdalena Beelzebub und Wendelin
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