Die Frau des Seiltaenzers
Schweinehirt, Ihr werdet des gemeinsamen Mordes an dem Schriftgelehrten Athanasius Helmont und seiner Buhle Xeranthe beschuldigt. Das Urteil soll am fünfzehnten Tag des ersten Herbstmonats gesprochen und nach dem Gesetz der Bamberger Halsgerichtsordnung von anno 1516 gefällt werden, welche für Mord den Tod am Galgen vorsieht.«
Und an seine Schergen gewandt: »Legt ihnen Handfesseln an und werft sie in den Kerker!«
23. KAPITEL
N ur einen Steinwurf vom Dom entfernt lag die Residenz des Fürstbischofs Weigand von Redwitz, eines kleinen, gedrungenen Mannes mit bäuerisch breitem Gesicht und waagerecht gestutztem Kinnbart. In Selbstmitleid zerfließend, nannte er sich den einsamsten Bischof der Welt, was in gewisser Weise sogar seine Richtigkeit hatte, denn zum einen war sein Land von Anhängern der lutherischen Glaubenslehre umzingelt – bei klarem Wetter konnte man in jeder Himmelsrichtung bis in protestantische Dörfer sehen –, zum anderen hatten sich die Bamberger von ihrem Bischof abgewandt, nachdem er dreizehn von ihnen öffentlich auf dem Markt hatte hinrichten lassen, weil sie angeblich Aufrührer im Bauernaufstand gewesen waren.
Jetzt waren die Messen im Dom so leer wie die Kassen Seiner Exzellenz, denn die Bürger weigerten sich – die meisten konnten auch nicht –, den geforderten Zehent zu bezahlen. In seiner Not nach jedem Strohhalm greifend, hatte Weigand einen Diakon aus dem Domkapitel – die Domherren selbst mochten den Bischof auch nicht leiden – zum Gasthaus ›Zum wilden Mann‹ gesandt, jenseits der Regnitz gelegen, wo ein Sterndeuter und Horoskopsteller logierte.
Ihm eilte der Ruf voraus, aus dem Verlauf der Gestirne die Zukunft eines jeden Menschen vorhersagen zu können. Dafür konnte er, außer Sternbildern und Tabellen, respektable Referenzen vorweisen. Kurfürst Albrecht von Brandenburg, sogar Kaiser und Papst, soerzählte man, ließen sich von ihm die Zukunft deuten, und wie es schien, lag er mit seinen Prophezeiungen nur selten daneben.
Weigand von Redwitz gestand dem hochgewachsenen, nach neuester Mode gekleideten Horoskopsteller, der sich Doktor Johannes Faust nannte, dass er mit Gott und der Welt hadere – in eben dieser Reihenfolge – und dass es ihm angenehm wäre zu wissen, welches Schicksal Gott für ihn bereithalte.
Da rieb sich der Zukunftsdeuter die Hände, keineswegs vor Freude, sondern aus Verlegenheit, denn er gehörte zu jener Sorte Menschen, die das Geld liebend gerne besitzen, aber über Zahlen äußerst ungern reden. Für solche Fälle trug er ein schwarzes Täfelchen und einen Griffel bei sich, auf das er mit flinker Hand ein X kritzelte, bevor er es Weigand vor die Augen hielt.
»Zehn Gulden?«, fragte der Fürstbischof zurück. »Dafür bekomme ich ein Pferd der besten Rasse!«
»Was ist ein Pferd gegen Euer zukünftiges Schicksal?«
Während Bischof Weigand Rat suchend zur hölzernen Decke seines bescheidenen Empfangsraumes blickte, als wollte er sich die Sache noch einmal überlegen, legte der Doktor nach: »Im Voraus, wenn ich bitten darf! Zehn Rheinische Gulden in bar.« Dabei streckte er dem Bischof die hohle Hand entgegen.
Vom Tisch, der vor dem mittleren Fenster des Raumes stand, nahm Weigand ein Glöckchen und schüttelte es, bis der Diakon erschien, der ihm als Sekretär diente, obwohl er sich mit dem Schreiben schwertat. Doch er arbeitete für Gottes Lohn.
»Gehe er zum Küster«, befahl Weigand. »Er möge die Opferstöcke des Doms leeren. Ich benötige dringend zehn Gulden. Und wenn Geiz und Habgier den Bambergern nicht so viel abgerungen haben, gehe Er zum Küster der Oberen Pfarre und bitte um den Rest. Der Fürstbischof werde, so Gott will, seine Schulden noch in dieser Woche begleichen.«
Der Diakon verneigte sich und verschwand.
Faust reichte dem Bischof sein Täfelchen, nachdem er mit einemSacktuch die Zahl darauf gelöscht hatte. »Schreibt mir Tag, Monat und Jahr auf.«
Weigand schrieb: XII.V.MCCCCLXXVI.
Der Sterndeuter las: »12.5.1476. Mit Verlaub, kein guter Jahrgang. Ein Jahr, in welchem der Tod große Männer auf grausame Weise dahinraffte, ohne dass ein Mann von Rang geboren wurde.«
Fürstbischof Weigand schluckte. »Ich bezahle Euch nicht, damit Ihr mir Unverschämtheiten ins Gesicht sagt«, rief er aufgebracht.
Da trat Faust nahe an Weigand heran und sagte: »Edler Herr Fürstbischof, ich kann Euch, wenn Ihr die Wahrheit nicht vertragt, Honig ums Maul schmieren und erklären, Ihr würdet Papst werden und Euer
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