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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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vertrete ihre Sache nicht mit dem nötigen Nachdruck. Hinzu kam eingewisses Misstrauen, was Constantins Abrechnungen betraf. Die neuerliche Hiobsbotschaft nahm Rudolfo mit langem Schweigen zur Kenntnis; doch jeder in der Truppe wusste, dass sich hinter dem scheinbaren Gleichmut des Seiltänzers genau das Gegenteil verbarg.
    Auch der Marktschreier war mit dieser Haltung vertraut. Eifrig schlug er vor, er wolle sich schon morgen in aller Frühe auf den Weg machen und mit einem Frachtkahn, der an der Flusslände in Aschaffenburg zum Ablegen bereitliege, mainabwärts nach Mainz fahren, wo man dem Auftreten der Gaukler gewiss wohlwollend begegnen werde.
    Die Gauklertruppe brauchte dringend neue Einnahmen, und so erklärte sich der Seiltänzer einverstanden. Allerdings stellte er zur Bedingung, Magdalena solle ihn begleiten und beim allergnädigsten Herrn Kurfürst und Kardinal Albrecht von Brandenburg vorstellig werden, der in Mainz das Sagen habe und ein Freund der Künste und der schönen Frauen sei.
    Magdalena zeigte sich überrascht von Rudolfos Vorschlag. Er hatte noch nie darüber geredet, dass sie eine solche Aufgabe übernehmen solle. Trotzdem hatte sie nichts dagegen einzuwenden, wenngleich ihr der Marktschreier Constantin Forchenborn als Begleiter nicht gerade nahestand.
    Nach einer beinahe gänzlich schlaflosen Nacht mit Rudolfo – für einen geruhsamen Schlaf hatte sich einfach zu viel ereignet – bestiegen Magdalena und der Marktschreier um Laudes herum, also noch vor dem Morgengrauen, eine Lauertanne, einen jener alten Frachtkähne, die Rhein und Main flussabwärts fuhren. Unter seiner schweren Last von gebrochenem Sandstein knarrte und ächzte das Schiff wie ein sterbender Drache.

8. KAPITEL
    Während der Schiffsreise flussabwärts, die Magdalena und der Marktschreier mit zwei anderen Passagieren und einer vierköpfigen Schiffsmannschaft teilten, blieb genügend Zeit, über das Geschehen der letzten Tage nachzudenken. Dabei verstärkten sich ihre Zweifel, ob sie recht daran getan hatte, sich mit Rudolfo einzulassen, ob es nicht besser wäre, sang- und klanglos aus seinem Leben zu verschwinden, damit er sein Leben weiterführen konnte. Zwar hatte sie schon viel von ihm erfahren, sicher mehr, als sie wissen durfte, aber je länger sie darüber nachdachte, desto größer wurde die Furcht, der Seiltänzer könnte ihrem Wissensdrang nachgeben und sie in Dinge einweihen, die für sie zu einer noch größeren Belastung führten.
    Liebte sie diesen seltsamen Seiltänzer wirklich? Liebte sie ihn, weil er der Große Rudolfo war oder wegen seinem einnehmenden Äußeren? Liebte sie ihn, weil er ihr zu erkennen gab, dass er sie liebte, dass sie ihm viel bedeutete, sogar mehr, als ihm erlaubt war?
    Auch wenn das Leben als Novizin ihr keine Möglichkeit geboten hatte, Vergleiche zu ziehen, so war Magdalena überzeugt, dass der Seiltänzer anders war als andere Männer. Dachte sie an den Marktschreier Constantin, an Megistos, den Quacksalber, oder Benjamino, den Jongleur, von dem Riesen Leonhard Khuenrath ganz zu schweigen, so war ihr die Vorstellung, mit einem von ihnen das Bett zu teilen, ein Gräuel. Deren Gespräche über Liebe und Frauen beschränkten sich auf zwei Dutzend abfällige Redewendungen, die obendreinschmutziger waren als der Schmutz der Straße und nichts als ihre unersättliche Manneskraft zum Inhalt hatten, samt der Zahlenangabe, wie viele Frauen sie »flachgelegt« hätten – so pflegten sie sich auszudrücken.
    Ein Schiff, das durch’s Wasser pflügt – nichts lässt einen trefflicher in Gedanken versinken, und so erschrak Magdalena, über den Bug des Frachtkahns gebeugt, als sie plötzlich Forchenborns Stimme vernahm.
    »Es war nicht so gemeint«, bemerkte der Marktschreier, »aber in schlechten Zeiten, wenn das Geld knapp ist, wird der Blick für die Realität getrübt.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwiderte Magdalena, obwohl sie durchaus ahnte, worauf er hinauswollte.
    »Mein Vorwurf neulich, weil du dir neue Kleider gekauft hast! Es stand mir nicht zu, dich deshalb zu tadeln.« Mit diesen Worten streckte er Magdalena die Hand entgegen.
    Nie und nimmer hätte sie von Constantin eine Entschuldigung erwartet. Schließlich waren sie seit dem ersten Tag ihrer Begegnung wie Hund und Katz miteinander umgegangen. Magdalena war sich auch nicht sicher, ob der Sinneswandel des Marktschreiers nicht nur gespielt war. Trotzdem ergriff sie seine Hand und sagte: »Schon vergessen!« Dabei

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