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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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quälte sie sich ein Lächeln ab.
    Eine Weile schwiegen sie, nebeneinanderstehend, ihre Blicke auf das vorbeiziehende Ufer gerichtet, als der Marktschreier unvermittelt begann: »Seit du zu uns gestoßen bist, ist Rudolfo ein anderer.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Nun ja«, Constantin wirkte unbeholfen, »Rudolfo ist nicht gerade ein einfacher Mensch, er ist ein Eigenbrötler, stur, bisweilen rücksichtslos und wenig umgänglich.«
    »Ein Genie sollte man nicht mit gewöhnlichen Maßstäben messen.«
    »Jedenfalls ist es dein Verdienst, Rudolfo das Lächeln gelehrt zu haben. Bisher konnte man meinen, der Seiltänzer lebte in eineranderen Welt, einer Welt, die das Lachen verbietet. Dabei sind Gaukler dazu da, die Leute zum Lachen zu bringen.«
    »Mag schon sein«, erwiderte Magdalena, »aber der Seiltänzer ist kein gewöhnlicher Gaukler. Seine Kunst fordert auch mehr zum Staunen als zum Lachen heraus. Ich weiß nicht, wie du dich verhalten würdest, wenn du auf einem Seil über den Dächern der Stadt dein Leben riskiertest. Im Übrigen hat unser Herr Jesus während der dreißig Jahre, in denen er auf Erden wandelte, auch kein einziges Mal gelacht. Jedenfalls steht nichts davon im Neuen Testament. Würdest du ihn deshalb als ›wenig umgänglich‹ bezeichnen – so sagtest du doch?«
    »Um Himmels willen, nein!« Der Marktschreier hob beide Hände wie ein Wanderprediger, der seine Worte mit theatralischen Gesten unterstreicht. »Ich wollte dir nur Bewunderung zollen für deine Fähigkeit, aus einem ernsten einen arkadischen Menschen zu machen.«
    Constantins Worte machten sie nachdenklich. Er hatte recht. In ihrer Erinnerung hatte sich die erste Begegnung mit Rudolfo eingebrannt, die Art, wie er über sie hinweg-, ja, durch sie hindurchgesehen hatte.
    Da trat unerwartet der kleine, untersetzte Mann auf sie zu, der in Aschaffenburg bereits an Bord gewesen war, sich bisher aber in der Kajüte im Heck des Schiffes aufgehalten hatte. Ein gekräuselter, dunkler Haarkranz umgab den ansonsten kahlen Schädel wie ein buschiger Lorbeerkranz und ließ ihn zweifellos älter erscheinen, als die Zahl seiner Jahre sein mochte.
    »Verzeiht, wenn ich mich einmische«, bemerkte der Fremde, »aber mir kam Eure Rede über das Lachen zu Ohren, ein Thema, mit dem ich mich seit geraumer Zeit auseinandersetze. Erlaubt mir, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Baumbast, Theo Baumbast, auf dem Wege nach Mainz. Ich bin Naturforscher, Schriftsteller, Doktor der Medizin und in der Theologie nicht unerfahren, alles zusammen also ein Mensch, der viel studiert, aber von nichts wirklich eine Ahnung hat.«
    Magdalena und der Marktschreier starrten den kleinen, dicklichen Mann einen Augenblick entgeistert an, zweifelnd, ob er sie auf den Arm nehmen wollte oder ob sie es mit einer gottbegnadeten Geistesgröße zu tun hatten. Da brach Baumbast, dem solche Begegnungen eine höllische Freude zu bereiten schienen, in schallendes Gelächter aus, dass Magdalena fürchtete, er würde an seinem gurgelnden Lachen ersticken. Und dieses Lachen wirkte ansteckend wie eine Seuche, gegen die jede Gegenwehr zwecklos ist. Magdalena und Forchenborn lachten sich mit dem Fremden die Lunge aus dem Leib, bis zur Erschöpfung.
    »Ihr seht«, sagte Baumbast, nachdem sich alle beruhigt hatten, »Lachen trägt zur Aufhebung von Hemmungen bei. Aber das ist nur eine von vielen angeborenen Ursachen von Intelligenz. Tiere lachen nicht, und darin unterscheiden sie sich vom Menschen am meisten. Im Übrigen ist das Lachen jene menschliche Regung mit den meisten Variationen.«
    »Aha«, bemerkte Magdalena spöttisch, »mit Verlaub, Doktor Baumbast, das müsst Ihr einem einfachen Frauenzimmer wie mir näher erklären!«
    Angelockt von den lauten Worten Baumbasts, trat auch der zweite Schiffspassagier hinzu, ein Bettelmönch, wie sie zu Hunderten über das Land zogen, in brauner Kutte, die wohl seiner Phantasie entsprungen war. Magdalena hatte eine derartige Ordenstracht noch nie gesehen. Quer über die Schultern gehängt, trug er einen Bettelsack, in welchem sein gesamtes Besitztum verstaut war. »Licet interesse?« , fragte er in holprigem Latein, um seinen fragwürdigen geistlichen Stand zu unterstreichen: Ist’s gestattet?
    Baumbast nickte gnädig und fuhr fort: »Nehmt eine andere sichtbare Regung des Menschen: Weinen. Es gibt nur zwei unterschiedliche Arten von Tränen, Tränen der Freude und Tränen des Leids.«
    »Stimmt!« Magdalena sah den Doktor neugierig an. »Und

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