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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Eltern durch die Metropolen Europas zu ziehen, deshalb befriedigte das Field Museum meine Vorstellung von einem »Museum«, auch wenn mich die gewölbte Steinfassade nicht sonderlich beeindruckte. Weil Sonntag war, mussten wir länger nach einem Parkplatz suchen, aber schließlich fanden wir einen und schlenderten am See entlang, vorbei an Booten, Statuen und aufgeregten Kindern. Dann gingen wir zwischen den wuchtigen Säulen hindurch ins Museum.
    Und schon war ich ein verzauberter Junge.
    Die gesamte Natur war da eingefangen, beschriftet und nach einer Logik geordnet, die so zeitlos schien, als hätte Gott sie befohlen, vielleicht ein Gott, der den ursprünglichen Plan für die Schöpfung verlegt und die Mitarbeiter des Field Museum gebeten hatte, ihm zu helfen, nicht den Überblick zu verlieren. Für mich als Fünfjährigen, den schon ein einziger Schmetterling in Verzückung setzen konnte, kam der Gang durchs Field Museum einem Spaziergang durchs Paradies gleich, der alles bot, was es dort gab.
    So vieles haben wir an jenem Tag gesehen: natürlich die Schmetterlinge, Schaukasten um Schaukasten, aus Brasilien, aus Madagaskar, sogar einen Bruder meines blauen Schmetterlings aus Down Under. Die Dunkelkeit und Kälte in dem alten Museum verstärkten das Gefühl der Unendlichkeit, das Gefühl, dass Zeit und Tod innerhalb dieser Mauern Einhalt geboten wird. Wir sahen Kristalle und Pumas, Bisamratten und Mumien, Fossilien und wieder Fossilien. Unser Picknick nahmen wir auf dem Rasen des Museums ein, und schon ging es wieder zu den Vögeln und Alligatoren und Neandertalern. Gegen Ende konnte ich vor Müdigkeit kaum noch stehen, aber ich mochte einfach nicht gehen. Das Aufsichtspersonal kam und drängte alle Besucher freundlich zu den Türen. Ich kämpfte mit den Tränen, fing aber vor Erschöpfung und Sehnsucht trotzdem zu weinen an. Dad nahm mich auf den Arm, und wir liefen zum Auto zurück. Auf dem Rücksitz schlief ich ein, und als ich wieder aufwachte, waren wir zu Hause und es war Zeit zum Abendessen.
    Wir aßen unten in der Wohnung von Mr und Mrs Kim, unseren Vermietern. Mr Kim war ein schroffer, gedrungener Mann, der mich zwar mochte, aber nie viel sagte, während Mrs Kim (mein Spitzname für sie war Kimy) meine Freundin war, meine verrückte, koreanische, Karten spielende Babysitterin. Die meiste Zeit, in der ich wach war, verbrachte ich mit Kimy. Meine Mom war nie eine großartige Köchin, aber Kimy konnte von einem Soufflé bis zu bi bim bop alles zaubern. Heute Abend, an meinem Geburtstag, gab es Pizza und Schokoladenkuchen.
    Beim Essen sangen alle Happy Birthday, und ich blies die Kerzen aus. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich mir dabei gewünscht habe. Ich durfte länger aufbleiben als sonst, weil ich immer noch so aufgeregt war von unserem Museumsbesuch und weil ich nachmittags so lange geschlafen hatte. Im Schlafanzug setzte ich mich mit meinen Eltern und Mrs und Mr Kim auf die hintere Veranda. Wir tranken Limonade, bewunderten das Blau des Abendhimmels und lauschten den Zikaden und Fernsehstimmen aus den anderen Wohnungen. Schließlich sagte Dad: »Zeit zum Schlafengehen, Henry.« Ich putzte mir die Zähne, sagte meine Gebete auf und ging ins Bett. Ich war erschöpft, aber hellwach. Dad las mir noch eine Weile vor, und als ich dann immer noch nicht schlafen konnte, machten meine Eltern das Licht aus, ließen meine Zimmertür einen Spaltbreit auf und gingen ins Wohnzimmer. Unsere Abmachung lautete: Sie würden so lange wie ich wollte für mich spielen, aber ich musste im Bett bleiben und zuhören. Mom setzte sich ans Klavier, Dad holte seine Geige aus dem Kasten, und sie spielten und sangen eine ganze Weile. Schlafweisen, Lieder, Nocturnes, verträumte Musik, die den wilden Jungen in seinem Zimmer besänftigen sollte. Irgendwann kam meine Mutter herein, um nachzusehen, ob ich schlief. In meinem Kinderbett sah ich vermutlich klein und misstrauisch aus, ein nächtliches Tier im Schlafanzug.
    »Ach, mein Schatz. Immer noch wach?«
    Ich nickte.
    »Dad und ich gehen jetzt ins Bett. Alles in Ordnung?«
    Ich sagte Ja, und sie umarmte mich. »War ziemlich aufregend heute im Museum, hm?«
    »Können wir morgen wieder hin?«
    »Nein, morgen nicht, aber wir gehen sehr bald wieder hin, gut?«
    »Gut.«
    »Nacht.« Sie ließ die Tür offen und knipste das Licht im Flur aus. »Schlaf gut. Lass dich nicht von den Wanzen beißen.«
    Ich hörte leise Geräusche, fließendes Wasser, die Toilettenspülung. Dann war

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