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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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alles still. Ich stand aus dem Bett auf und kniete mich vor mein Fenster. Im Haus nebenan brannten Lichter, irgendwo fuhr ein Auto mit plärrendem Radio vorbei. Ich blieb eine Weile am Fenster, versuchte müde zu werden, und dann stand ich auf, und alles veränderte sich.
Samstag, 2. Januar 1988, 4.03 Uhr 
Sonntag, 16. Juni 1968,22.46 Uhr 
(Henry ist 24 und 5)
     
    Henry: Es ist 4.03 Uhr an einem überaus kalten Januarmorgen, ich komme gerade nach Hause. Ich war tanzen und bin nicht wirklich betrunken, aber völlig erschöpft. Im hellen Foyer, wo ich mit meinen Schlüsseln herumfümmle, wird mir schwindlig und ich falle benommen auf die Knie, und schon bin ich im Dunkeln und übergebe mich auf einen gekachelten Boden. Ich hebe den Kopf, erkenne ein rot erleuchtetes EXIT-Schild, und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich Tiger, Höhlenmänner mit langen Speeren, Höhlenfrauen in strategisch günstig drapierten Fellen, Wolfshunde. Mein Herz rast, und einen alkoholbenebelten Augenblick lang denke ich Heilige Scheiße, jetzt hat es mich glatt in die Steinzeit verschlagen, bis mir bewusst wird, dass EXIT-Schilder eine Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts sind. Zitternd stehe ich auf und strebe dem Eingang entgegen, der Boden unter meinen bloßen Füßen ist eiskalt, ich habe eine Gänsehaut und mir stehen alle Haare zu Berge. Es herrscht vollkommene Stille. Die klimatisierte Luft fühlt sich feucht an. Am Eingang werfe ich einen Blick in den angrenzenden Raum, in dem es von Glaskästen wimmelt. Im weißen Licht der Straßenlampen, das durch die hohen Fenster fällt, sehe ich Tausende von Käfern. Gott sei Dank, ich bin im Field Museum. Ich bleibe stehen, atme tief durch und versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Mein lahm gelegtes Hirn fühlt sich an etwas erinnert, das ich versuche auszugraben. Ich sollte etwas tun. Genau. Mein fünfter Geburtstag ... jemand war da, und derjenige werde ich gleich sein ... Ich brauche Kleidung. Keine Frage.
    Ich sprinte durch die Käferausstellung in den langen Gang, der den ersten Stock in zwei Hälften teilt, nehme die Westtreppe hinunter ins Erdgeschoss, unendlich dankbar, dass es noch keine Bewegungsmelder gibt. Im Mondlicht ragen die riesigen Elefanten drohend über mir auf, und ich winke ihnen auf dem Weg zu dem kleinen Geschenkeladen rechts vom Haupteingang zu. Ich sehe mir die Auslagen an und finde ein paar vielversprechende Dinge: einen dekorativen Brieföffner, ein Lesezeichen aus Metall mit den Insignien des Museums und zwei T-Shirts mit Dinosaurier-Aufdruck. Die Schlösser an den Schaukästen sind ein Witz. Ich öffne sie mit einer Haarklammer, die neben der Kasse liegt, und bediene mich. Gut. Zurück zur Treppe und hinauf in den zweiten Stock, den so genannten Dachboden des Museums, in dem sich die Labore und Büros der Mitarbeiter befinden. Ich überfliege die Namen an den Türen, aber keiner sagt mir etwas. Schließlich lasse ich den Zufall entscheiden und führe mein Lesezeichen am Schloss entlang, bis der Bolzen zurückschnappt und ich eintreten kann.
    Der Bewohner dieses Büros, ein gewisser V. M. Williamson, ist ein sehr unordentlicher Mensch. Überall im Zimmer liegen Papiere und Kaffeebecher herum, der Aschenbecher quillt vor Kippen über. Auf dem Schreibtisch liegt ein teilweise bewegliches Schlangenskelett. Rasch sehe ich mich in dem Chaos nach Kleidung um und entdecke nichts. Im nächsten Zimmer arbeitet eine Frau, J. F. Bettley. Bei meinem dritten Versuch habe ich Glück. Am Kleiderständer von D.W. Fitch hängt ordentlich ein ganzer Anzug, der mir sogar einigermaßen passt, auch wenn Ärmel und Beine etwas kurz sind und das Revers zu weit. Unter die Jacke ziehe ich eins der Dinosaurier-T-Shirts an. Fehlen nur noch Schuhe, aber ansonsten bin ich salonfähig. In D.W.s Schreibtisch liegt außerdem eine noch ungeöffnete Packung Oreo-Kekse, Gott segne ihn.
    Ich beschlagnahme sie und verlasse, sorgsam die Tür hinter mir schließend, das Zimmer.
    Wo war ich noch, als ich mich vorhin sah ? Ich schließe die Augen, werde von einer körperlichen Erschöpfung übermannt, die mich mit schläfrigen Fingern streichelt. Ich schlafe fast im Stehen ein, reiße mich aber zusammen und da fällt es mir wieder ein: Eine Männergestalt, von hinten durch die Eingangstür beleuchtet, tritt auf mich zu. Ich muss unbedingt wieder nach unten, in die Eingangshalle.
    Dort angelangt, ist alles ruhig und still. Ich durchquere die Halle, versuche, mir das

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