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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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wussten Sie es? Woher wussten Sie es?« Kendrick flüstert fast.
    »Es tut mir Leid. Es tut mir ehrlich Leid.« Eine Weile sagt keiner von uns ein Wort. Ich glaube, Kendrick weint.
    »Kommen Sie in meine Praxis.«
    »Wann?«
    »Morgen«, sagt er und legt auf.
Sonntag, 7. April 1996 (Henry ist 32 und 8, Clare 24)
     
    Henry: Clare und ich fahren nach Hyde Park. Wir haben fast während der ganzen Fahrt geschwiegen. Es regnet und die Scheibenwischer liefern die rhythmische Untermalung für das Wasser, das vom Auto strömt, und den Wind.
    »Irgendwie ist es nicht fair«, sagt Clare, als setze sie eine Unterhaltung fort, die wir genau genommen nicht geführt haben.
    »Was? Kendrick?«
    »Ja.«
    »Das Leben ist nun mal nicht fair.«
    »Oh, nein. Ich meine, klar, das mit dem Baby ist traurig, aber eigentlich meinte ich uns. Irgendwie ist es nicht fair, dass wir es ausnutzen.«
    »Unsportlich, findest du?«
    »M-hm.«
    Ich seufze. Das Ausfahrtschild zur 57. Straße erscheint. Clare wechselt die Spur und biegt ab.
    »Ich stimme dir zu, aber es ist zu spät. Und ich habe ja versucht...«
    »Egal, ist sowieso zu spät.«
    »Stimmt.« Wir verstummen wieder. Ich dirigiere Clare durch das Labyrinth von Einbahnstraßen und bald stehen wir vor Kendricks Praxisgebäude.
    »Viel Glück.«
    »Danke.« Ich bin nervös.
    »Sei nett.« Clare küsst mich. Wir sehen uns an, unsere großen Hoffnungen sind durchdrungen von Schuldgefühlen gegenüber Kendrick. Clare lächelt und blickt zur Seite. Ich steige aus und beobachte, wie sie langsam die 59. Straße hinunterfährt und den Midway überquert. Sie hat etwas in der Smart Gallery zu erledigen.
    Der Haupteingang ist unverschlossen. Ich nehme den Fahrstuhl in den zweiten Stock, gehe durch Kendricks leeres Wartezimmer und weiter den Flur entlang. Die Tür zu seinem Sprechzimmer ist offen. Es brennt kein Licht. Kendrick steht hinterm Schreibtisch mit dem Rücken zu mir, er blickt aus dem Fenster auf die regennasse Straße hinaus. Eine ganze Weile bleibe ich stumm in der Tür stehen, bis ich schließlich hineingehe.
    Als Kendrick sich umdreht, bin ich schockiert über die Veränderung in seinem Gesicht. Gramzerfurcht ist das falsche Wort. Es ist leer. Etwas, das vorher da war, ist jetzt verschwunden. Sicherheit, Vertrauen, Zuversicht. Ich bin so an mein Leben auf einem metaphysischen Trapez gewöhnt, dass ich vergesse, dass andere Menschen meist festeren Boden unter den Füßen haben.
    »Henry DeTamble«, sagt Kendrick.
    »Hallo.«
    »Warum sind Sie zu mir gekommen?«
    »Weil ich zu Ihnen kommen musste. Mir blieb keine andere Wahl.«
    »Schicksal?«
    »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Für jemand wie mich ist alles irgendwie kreisförmig. Ursache und Wirkung geraten durcheinander.«
    Kendrick setzt sich an seinen Schreibtisch. Der Stuhl quietscht. Sonst hört man nur den Regen. Kendrick tastet in seiner Tasche nach Zigaretten, findet sie, sieht mich an. Ich zucke die Schultern. Er zündet sich eine an und raucht eine Weile. Ich betrachte ihn.
    »Woher wussten Sie es?«
    »Ich habe es Ihnen schon gesagt. Ich las die Geburtsurkunde.«
    »Wann?«
    »1999.«
    »Unmöglich.«
    »Dann erklären Sie es.«
    Kendrick schüttelt den Kopf. »Kann ich nicht. Ich hab mir den Kopf zermartert, aber es ist mir nicht gelungen, eine Erklärung zu finden. Alles war ... korrekt. Die Stunde, der Tag, das Gewicht, die... Anomalie.« Er sieht mich verzweifelt an. »Und wenn wir beschlossen hätten, ihn anders zu nennen... Alex, Fred oder Sam?«
    Ich schüttle den Kopf und höre damit auf, als mir klar wird, dass ich Kendrick nachahme. »Aber Sie haben es nicht getan. Ich will nicht so weit gehen und behaupten, Sie konnten es gar nicht, aber sie haben es nun mal nicht getan. Ich habe nur Bericht erstattet. Ich besitze keine übernatürlichen Fähigkeiten.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Nein.« Darüber will ich nicht diskutieren, auch wenn mir letztlich nichts anderes übrig bleiben wird. »Das mit Colin tut mir Leid. Aber wissen Sie, er ist wirklich ein prima Junge.«
    Kendrick starrt mich an. »Ich habe den Fehler aufgespürt. Ein Versehen. Man hat unsere Testergebnisse mit denen eines Ehepaars namens Kenwick vertauscht.«
    »Was hätten Sie getan, wenn Sie es gewusst hätten?«
    Er sieht woandershin. »Ich weiß nicht. Meine Frau und ich sind katholisch, ich denke also, das Endergebnis wäre dasselbe gewesen. Es ist paradox...«
    »Ja.«
    Kendrick drückt seine Zigarette aus und steckt sich eine neue an. Ich finde mich

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