Die Frau des Zeitreisenden
an, und sie verabreden einen Termin, um sich an die Arbeit zu machen und herauszufinden, wie man Henry im Hier und Jetzt halten kann.
Freitag, 12. April 1996 (Henry ist 32)
Henry: Kendrick sitzt mit gesenktem Kopf da. Seine Daumen fahren nervös an den Rändern seiner Handflächen entlang, als suchten sie nach einer Fluchtmöglichkeit. Den ganzen Nachmittag war das Sprechzimmer von goldenem Licht durchflutet. Kendrick saß reglos da, abgesehen von seinen zuckenden Daumen, und lauschte meinen Ausführungen. Der rote indische Teppich, die Stahlrohrbeine der beigen Körperstühle, alles leuchtete hell in der Sonne. Kendricks Zigaretten, eine Packung Camel, blieben unangerührt, während er mir zuhörte. Das Sonnenlicht hat sich auf der Goldfassung seiner runden Brillengläser gefangen und den Rand seines rechten Ohrs zum Glühen gebracht, seine fuchsroten Haare und die rosige Haut haben ebenso im Licht geglänzt wie die gelben Chrysanthemen in der Messingvase zwischen uns. Den ganzen Nachmittag hat Kendrick dort auf seinem Stuhl gesessen und mir zugehört.
Und ich habe ihm alles erzählt. Von Anfang an. Von der allmählichen Erkenntnis und dem Überlebensdrang, von der Freude des Vorauswissens und dem Entsetzen über unabwendbare Ereignisse, vom Schmerz des Verlusts. Nun sitzen wir schweigend da, bis Kendrick schließlich den Kopf hebt und mich ansieht. In seinen hellen Augen liegt eine Traurigkeit, die ich gern vertreiben würde. Nachdem ich alles vor ihm ausgebreitet habe, möchte ich es zurücknehmen und Weggehen, ihn von der Last, auch nur ansatzweise darüber nachdenken zu müssen, befreien. Er greift nach seinen Zigaretten, nimmt eine heraus, steckt sie an, inhaliert und atmet eine blaue Wolke aus, die mit ihrem Schatten den Lichtstrahl der Sonne schneidet und dann weiß wird.
»Leiden Sie unter Schlafstörungen?«, fragt er, und seine Stimme klingt kratzig vom Nichtgebrauch.
»Ja.«
»Gibt es eine bestimmte Tageszeit, in der Sie besonders häufig ... verschwinden?«
»Nein ... das heißt, am frühen Morgen vielleicht häufiger als zu anderen Zeiten.«
»Leiden Sie unter Kopfschmerzen?«
»Ja.«
»Migräne?«
»Nein. Druckkopfschmerzen mit Sehstörungen, Auren.«
»Hmm.« Kendrick steht auf. Seine Knie knacken. Er schreitet durchs Sprechzimmer, raucht, folgt der Kante des Teppichs. Es fängt gerade an, mir auf die Nerven zu gehen, als er damit aufhört und sich wieder setzt. »Hören Sie«, sagt er und runzelt die Stirn. »Es gibt die so genannten Uhren-Gene. Sie steuern unseren 24-Stundenrhythmus, halten uns im Takt mit der Sonne, solche Sachen. Man hat diese Uhren-Gene in den verschiedensten Zelltypen des Körpers gefunden, aber sie sind vor allem an unser Sehsystem gekoppelt, und Ihre Symptome scheinen vorwiegend visueller Natur zu sein. Der suprachiasmatische Nucleus des Hypothalamus, der direkt über Ihrem optischen Chiasma liegt, dient sozusagen als Reset-Knopf für Ihr Zeitgefühl - und da werde ich ansetzen.«
»Klingt gut«, sage ich, da er mich ansieht, als erwarte er eine Antwort. Kendrick steht wieder auf und geht zu einer Tür, die mir zuvor nicht aufgefallen war, öffnet sie und verschwindet für einen Moment. Dann kommt er mit einem Paar Latexhandschuhen und einer Spritze zurück.
»Rollen Sie Ihren Ärmel hoch«, fordert er.
»Was haben Sie vor?« Ich rolle meinen Ärmel bis über den Ellbogen hoch. Er antwortet nicht, wickelt die Spritze aus, betupft meinen Arm und bindet ihn ab, sticht geschickt zu. Ich sehe woandershin. Die Sonne ist vorbeigezogen und lässt den Raum in düsterem Licht zurück.
»Sind Sie krankenversichert?«, fragt er, zieht die Nadel heraus und bindet meinen Arm los. Er legt ein Stück Watte auf das Einstichloch und klebt ein Pflaster drüber.
»Nein. Ich zahle alles selbst.« Ich drücke meine Finger auf das Pflaster und beuge den Ellbogen.
Kendrick lächelt. »Nein, nein. Sie können mein Versuchskaninchen spielen und sich dafür in mein Forschungsstipendium des Gesundheitsministeriums einklinken.«
»Wofür?«
»Wir wollen uns hier nicht mit Halbheiten abgeben.« Kendrick hält inne, die benutzten Handschuhe und die kleine Phiole mit meinem frisch gezapften Blut in der Hand. »Wir werden Ihre DNA-Sequenzen untersuchen.«
»Ich dachte, das dauert Jahre.«
»Das tut es auch, wenn man das gesamte Genom untersucht. Aber wir begnügen uns fürs Erste mit den aussichtsreichsten Kandidaten: Chromosom 17 zum Beispiel.« Kendrick wirft die Handschuhe und die
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