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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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rothaarigen Mann auf mein Auto zurennen. An der Beifahrertür bleibt er stehen und späht zu mir herein. Das muss Kendrick sein. Ich entriegele die Tür. Er steigt in den Wagen und weiß dann nicht, was er sagen soll.
    »Hallo«, begrüße ich ihn. »Sie müssen Dr. Kendrick sein. Ich bin Clare DeTamble.«
    »Ja...« Er ist sehr nervös. »Ja, ja. Ihr Mann...«
    »Ist gerade am helllichten Tage verschwunden.«
    »Ja!«
    »Sie wirken überrascht.«
    »Naja...«
    »Hat er es Ihnen nicht erzählt? Das passiert ihm häufig.« Bislang bin ich nicht sonderlich beeindruckt von diesem Mann, aber ich gebe nicht auf. »Es tut mir ehrlich Leid wegen Ihrem Kind. Aber Henry sagt, er ist ein lieber Junge, und dass er wirklich toll zeichnen kann und viel Fantasie hat. Ihre Tochter ist auch sehr begabt, alles kommt in Ordnung. Sie werden sehen.«
    Er starrt mich entgeistert an. »Wir haben keine Tochter. Nur... Colin.«
    »Aber sie werden eine haben. Sie heißt Nadia.«
    »Es war ein Schock. Meine Frau ist völlig aufgelöst...«
    »Aber es wird alles gut. Bestimmt.« Zu meiner Überraschung fängt dieser fremde Mann zu weinen an, seine Schultern beben, er vergräbt das Gesicht in den Händen. Nach ein paar Minuten hört er auf und hebt den Kopf. Ich gebe ihm ein Kleenex, und er schnäuzt sich die Nase. »Es tut mir so Leid«, setzt er an.
    »Macht nichts. Was ist vorhin in Ihrer Praxis geschehen, mit Ihnen und Henry? Es lief offenbar nicht gut.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Er war völlig gestresst, deshalb hat er die Kontrolle über die Gegenwart verloren.«
    »Wo ist er?« Kendrick sieht sich um, als hätte ich Henry vielleicht auf dem Rücksitz versteckt.
    »Ich weiß nicht. Hier jedenfalls nicht. Wir hatten gehofft, Sie könnten helfen, aber wohl doch nicht.«
    »Also, ich wüsste nicht, wie...«
    Im selben Moment taucht Henry an genau der Stelle auf, an der er verschwunden ist. Ein Autofahrer, der ungefähr sechs Meter entfernt ist, tritt quietschend auf die Bremse, und Henry wirft sich über die Haube unseres Autos. Der Mann rollt sein Fenster herunter, und als Henry sich aufsetzt und leicht verbeugt, brüllt der Mann etwas und fährt weiter. Blut singt in meinen Ohren. Ich sehe zu Kendrick, der sprachlos ist, springe dann aus dem Auto, und Henry rutscht vorsichtig von der Motorhaube herunter.
    »Hallo, Clare. Das war knapp, hm?« Ich schlinge die Arme um ihn, er zittert. »Hast du meine Sachen?«
    »Ja, gleich hier... ach ja, Kendrick ist da.«
    »Was? Wo?«
    »Im Auto.«
    »Warum?«
    »Er hat dich verschwinden sehen, und das hat ihm anscheinend zu denken gegeben.«
    Henry streckt den Kopf in die Fahrertür. »Hallo.« Er nimmt seine Sachen und zieht sich langsam an. Kendrick steigt aus und kommt um das Auto herum zu uns.
    »Wo waren Sie?«
    »Im Jahr 1971. Ich war in meinem alten Kinderzimmer und habe um ein Uhr nachts heiße Schokolade mit meinem achtjährigen Ich getrunken. Ich war ungefähr eine Stunde dort. Warum fragen Sie?« Henry, der sich die Krawatte bindet, betrachtet Kendrick kalt.
    »Unglaublich.«
    »Und wenn Sie es noch so oft sagen, leider ist es trotzdem wahr.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie wieder acht geworden sind?«
    »Nein, damit will ich sagen, dass ich im Jahr 1971 so, wie ich jetzt als Zweiunddreißigjähriger bin, zusammen mit mir als Achtjährigem in meinem alten Kinderzimmer in der Wohnung meines Vaters saß. Bei heißer Schokolade. Wir haben über die Skepsis der medizinischen Zunft geplaudert.« Henry geht zur Beifahrertür und öffnet sie. »Komm, Clare, zischen wir ab. Es hat keinen Sinn.«
    Ich gehe zur Fahrertür. »Auf Wiedersehen, Dr. Kendrick. Viel Glück mit Colin.«
    »Warten Sie...« Kendrick stockt, sammelt sich. »Ist es eine genetische Krankheit?«
    »Ja«, sagt Henry. »Es ist eine genetische Krankheit, und wir möchten ein Kind bekommen.«
    Kendrick lächelt traurig. »Ein riskantes Unterfangen.«
    Ich lächle zurück. »An riskante Unterfangen sind wir gewöhnt. Auf Wiedersehen.« Henry und ich steigen ins Auto und fahren los. Als ich auf den Lake Shore Drive biege, sehe ich kurz zu Henry, der zu meiner Überraschung bis über beide Ohren grinst.
    »Worüber freust du dich so?«
    »Kendrick. Der ist Feuer und Flamme.«
    »Meinst du?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Na, toll. Aber irgendwie fand ich ihn beschränkt.«
    »Ist er nicht.«
    »Gut.« Schweigend fahren wir nach Hause, aber es ist ein völlig anderes Schweigen als bei der Hinfahrt. Kendrick ruft Henry am selben Abend

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