Die Frau des Zeitreisenden
damit ab, dass ich Kopfschmerzen vom Rauch bekommen werde.
»Wie funktioniert es?«
»Was?«
»Dieses Zeitreisen, das Sie angeblich praktizieren.« Er klingt verärgert. »Sagen Sie irgendwelche Zauberformeln auf? Klettern Sie in eine Maschine?«
Ich versuche, ihm eine plausible Erklärung zu liefern. »Nein, ich tue gar nichts. Es passiert einfach. Ich kann es nicht steuern, ich ... eben noch ist alles in Ordnung, und im nächsten Moment bin ich irgendwo anders, in einer anderen Zeit. Wie wenn man das Fernsehprogramm wechselt. Auf einmal finde ich mich an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit wieder.«
»So, und was soll ich Ihrer Ansicht nach dagegen tun?«
Ich lehne mich vor, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich möchte, dass Sie die Ursache finden und dafür sorgen, dass es aufhört.«
Kendrick lächelt. Kein freundliches Lächeln. »Aber warum wollen Sie das? Es scheint doch ganz praktisch für Sie zu sein. Sie wissen viele Sachen, die andere Menschen nicht wissen.«
»Es ist gefährlich. Früher oder später wird es mich umbringen.«
»Ich kann nicht behaupten, dass mich das kümmern würde.«
Es hat keinen Sinn fortzufahren. Ich stehe auf und gehe zur Tür. »Auf Wiedersehen, Dr. Kendrick.« Ich gehe langsam den Flur entlang, gebe ihm die Möglichkeit, mich zurückzurufen, aber er tut es nicht. Im Fahrstuhl sage ich mir traurig, dass was auch immer hier falsch gelaufen ist, so und nicht anders kommen musste und sich früher oder später einpendeln wird. Als ich die Tür öffne, sehe ich Clare auf der anderen Straßenseite im Auto auf mich warten. Sie dreht den Kopf, und ihr Gesichtsausdruck spiegelt so viel Hoffnung wider, solche Vorfreude, dass ich von Traurigkeit überwältigt werde. Ich fürchte mich davor, ihr von dem Gespräch mit Kendrick zu erzählen. Als ich über die Straße gehe, summt es in meinen Ohren, ich verliere das Gleichgewicht und stürze, lande aber nicht auf Straßenpflaster, sondern auf Teppichboden und da liege ich, bis eine vertraute Kinderstimme sagt: »Henry, ist alles in Ordnung?«, und als ich aufblicke, sehe ich mich, mit acht, aufrecht im Bett sitzen, den Blick auf mich gerichtet.
»Mir geht’s prima, Henry.« Er sieht skeptisch aus. »Wirklich, mir geht’s gut.«
»Möchtest du ein bisschen Ovaltine?«
»Gern.« Er steigt aus dem Bett, tapst durchs Zimmer und den Flur entlang. Es ist mitten in der Nacht. Er hantiert eine Weile in der Küche herum und kommt schließlich mit zwei Bechern heißer Schokolade zurück. Wir trinken sie langsam, schweigend. Als wir fertig sind, trägt Henry die Becher zurück in die Küche und wäscht sie ab. Lieber gleich alle Beweise vernichten. Als er zurückkommt, frage ich: »Was läuft denn so?«
»Nicht viel. Heute waren wir bei einem anderen Arzt.«
»Hey, ich auch. Bei wem warst du?«
»Hab den Namen vergessen. Ein alter Knacker mit viel Haaren in den Ohren.«
»Wie war’s?«
Henry zuckt die Achseln. »Er hat mir nicht geglaubt.«
»Du solltest es aufgeben. Von denen wird dir nie jemand glauben. Und der, bei dem ich heute war, hat mir zwar geglaubt, wollte mir aber nicht helfen.«
»Wieso nicht?«
»Er mochte mich wohl einfach nicht.«
»Oh. Hey, willst du ein paar Decken?«
»Eine vielleicht.« Ich ziehe die Tagesdecke von Henrys Bett und wickle mich auf dem Fußboden darin ein. »Gute Nacht. Schlaf gut.« Im Blauschimmer des Schlafzimmers sehe ich die weißen Zähne meines kleineren Ichs aufblitzen, dann wendet er sich ab und rollt sich in die feste Kugel eines schlafenden Jungen zusammen, und ich starre auf meine alte Zimmerdecke, zwinge mich durch Willenskraft zurück zu Clare.
Clare: Henry kommt mit unglücklicher Miene aus dem Gebäude. Plötzlich schreit er auf und ist verschwunden. Ich springe aus dem Auto und renne zu der Stelle, wo Henry noch vor einer Sekunde war, aber jetzt liegt dort natürlich nur noch ein Haufen Kleidung. Ich sammle alles auf, bleibe noch ein paar Herzschläge lang mitten auf der Straße stehen und sehe das Gesicht eines Mannes, der von einem Fenster im zweiten Stock zu mir herabsieht. Dann verschwindet er. Ich gehe zum Auto zurück, steige ein, starre auf Henrys hellblaues Hemd und die schwarze Hose und überlege, ob es sinnvoll ist, hier zu bleiben. In meiner Handtasche steckt Brideshead Revisited, also beschließe ich, noch eine Weile hier zu warten, für den Fall, dass Henry schnell wieder auftaucht. Als ich mich umdrehe, um das Buch zu holen, sehe ich einen
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