Die Frau des Zeitreisenden
Toulouse-Lautrecs Moulin Rouge steht. Ihre Handtasche hat einen einfachen Verschluss und hängt von der Schulter quer über dem Rücken. Sie ist völlig damit beschäftigt, ihr kreischendes Kind zu beruhigen. Ich tue, als wenn ich das Bild im Gehen betrachte, stoße mit ihr zusammen, wodurch sie nach vorn taumelt, und packe sie am Arm. »Tut mir ehrlich Leid, entschuldigen Sie, ich hab nicht aufgepasst, ist alles in Ordnung? Es ist so voll...« Und schon gleitet meine Hand in ihre Tasche, sie ist ganz aufgeregt, sie hat dunkle Augen und lange Haare, einen großen Busen, offenbar kämpft sie immer noch mit den Pfunden, die sie während der Schwangerschaft zugelegt hat. Ich begegne ihrem Blick, ihre Geldbörse ist in meiner Hand, und immer noch Entschuldigung murmelnd, wandert das Ding in meinen Jackenärmel, ich mustere sie lächelnd von oben bis unten, entferne mich rückwärts, drehe mich um, laufe weiter, werfe einen Blick zurück über die Schulter. Sie hat ihren Jungen auf dem Arm und starrt mich leicht verloren an. Ich lächle und gehe weiter, immer weiter. Henry folgt mir die Treppe hinunter zum Kindermuseum. Wir treffen uns in der Männertoilette.
»Das war unheimlich«, sagt Henry. »Warum hat sie dich so angeguckt?«
»Sie ist einsam«, antworte ich beschönigend. »Vielleicht lässt ihr Mann sie oft allein.« Wir zwängen uns in eine Kabine, und ich öffne die Geldbörse. Sie heißt Denise Radke, wohnt in Villa Park, Illinois.
Sie ist Museumsmitglied und eine ehemalige Studentin der Roosevelt University. Zweiundzwanzig Dollar plus Kleingeld hat sie bei sich. Schweigend zeige ich alles Henry, bringe die Geldbörse wieder in ihren ursprünglichen Zustand und reiche sie ihm. Wir verlassen die Kabine, gehen zur Männertoilette hinaus und zurück in Richtung Museumseingang. »Gib sie der Aufsicht. Sag, du hast sie auf dem Boden gefunden.«
»Warum?«
»Wir brauchen sie nicht, ich wollte es dir nur zeigen.« Henry rennt zur Aufsicht, einer älteren schwarzen Frau, die ihn anlächelt und fast umarmt. Langsam kommt er zurück, und wir gehen im Abstand von dreieinhalb Metern, ich voran, den langen dunklen Korridor entlang, der eines Tages die Dekorativen Künste beherbergen und zu dem bisher noch nicht einmal geplanten Rice-Flügel führen wird, im Augenblick jedoch voller Plakate hängt. Auf der Suche nach leichter Beute sehe ich direkt vor mir ein Musterbeispiel, den Traum eines jeden Taschendiebs: Klein, beleibt und sonnenverbrannt, als wenn er in seiner Baseballmütze, der Polyesterhose und dem hellblauen kurzärmeligen Button-down-Hemd am Wrigley-Field-Stadion falsch abgebogen wäre. Er hält seiner unscheinbaren Freundin einen Vortrag über Vincent van Gogh.
»Schneidet er sich also ein Ohr ab und schenkt es seiner Freundin - hey, wär das nicht ein Geschenk für dich? Ein Ohr! So was. Jedenfalls haben sie ihn in die Klapse gesteckt...«
Bei ihm habe ich keine Skrupel. Plappernd schlendert er weiter, heiter und unbeeindruckt, das Portemonnaie in der linken Gesäßtasche. Er hat einen dicken Bauch, aber fast keinen Hintern, und sein Portemonnaie schreit geradezu danach, von mir gegriffen zu werden. Ich schreite hinter ihnen her. Henry kann ungehindert sehen, wie ich Daumen und Zeigefinger geschickt in die Tasche meines Opfers stecke und die Beute befreie. Ich falle zurück, das Paar spaziert weiter, ich reiche die Brieftasche an Henry weiter, der sie sich in die Tasche steckt, während ich vorausgehe.
Ich zeige Henry noch ein paar andere Techniken: Wie man eine Brieftasche aus der inneren Brusttasche eines Jacketts holt, wie man die eigene Hand vor Blicken abschirmt, wenn sie in der Handtasche einer Frau steckt, sechs verschiedene Methoden, jemanden abzulenken und ihm gleichzeitig die Brieftasche zu entwenden, wie man eine Brieftasche aus einem Rucksack holt, und wie man jemanden dazu bewegt, einem versehentlich zu zeigen, wo er sein Geld aufbewahrt. Henry ist nun lockerer, das Ganze macht ihm langsam sogar Spaß. Schließlich sage ich: »Okay, jetzt bist du dran.«
Sofort erstarrt er vor Schreck. »Ich kann nicht.«
»Natürlich kannst du. Sieh dich um. Such dir jemanden aus.« Wir stehen im Raum mit den japanischen Drucken, er ist voll alter Damen.
»Nicht hier.«
»Gut, wo dann?«
Er überlegt eine Weile. »Im Restaurant?«
Schweigend gehen wir zum Restaurant. Mir ist all dies noch lebhaft in Erinnerung. Ich hatte entsetzliche Angst. Ich sehe mein junges Ich an, und tatsächlich, sein Gesicht
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